Einfach hin und weg
Kirche und lese laut aus der Bibel vor. Und ich bin stolz und glücklich, das tun zu dürfen. Dem lieben Gott ein bisschen näher. Schade dass Doreen mich nicht sieht. Sie wäre auch stolz auf mich.
Morgen geht es wieder in die Berge. Auf 1.500 m. Auch das werde ich schaffen! Diese Etappe gehe ich für Lisa. Das wird kaum einer verstehen, aber hier passieren sowieso viele Dinge, die zu Hause niemand versteht. Was soll's?
Mach es gut, kleine Katze. Du warst eine liebe Freundin über all die Jahre.
11.06.2007 Rabanal - Cruz de Ferro - El Acebo - Molinaseca
Soeben hat Don Alfredo, der Chef der Herberge in Molinaseca, die Blasen am linken Fuß verarztet. Ein echter Spezialist, der mit einem Koffer voller Salben und Pulver, Pflastern und Binden auf der grünen Wiese neben der Herberge nach Bedarf seine Praxis öffnet. Er ist im wahren Leben Physiotherapeut und versorgt nebenbei die Pilger. Für meine Füße benötigt er eine halbe Stunde. Geld nimmt er keines, aber er trinkt gerne ein Bier mit mir. Nebenbei empfiehlt er, einen Arzt aufzusuchen, denn er befürchtet in meinem kleinen Zeh eine Entzündung.
Das hat mir gerade noch gefehlt, auf dem Jakobsweg Antibiotika einzunehmen. Ich verschiebe das erst einmal auf morgen.
Von Rabanal geht es nach wenigen Kilometern hoch in die Berge bis auf 1.500 Meter. Gegen 9 Uhr klart es auf und die Berggipfel werden sichtbar. Gute Luft, nicht zu warm, bestes Wanderwetter. Rechts und links, so weit das Auge reicht, blühende Heide- und Ginsterbüsche, fast 2 m hoch. Ein Berg reiht sich an den anderen, die Gipfel sind zum Teil mit Wolkentupfern bedeckt, der Blick geht tief ins Tal. Oh Wanderlust!!
Henriette habe ich besonders fein herausgeputzt. Kommt doch heute einer der Höhepunkte auf dem Jakobsweg. Das Cruz de Fer, das Eisenkreuz, wo jeder einen Stein, den er von zu Hause mitgebracht hat, ablegt. Es ist schon ein beeindruckender Ort und ein seltsames Gefühl, den Steinhaufen zu sehen, den Pilger im Laufe von Jahrhunderten angesammelt haben.
Eigentlich ist es eine symbolische Handlung. Mit Ablegen des Steines entledigt sich der Pilger aller Probleme und Nöte, wegen derer er die Wallfahrt nach Santiago unternimmt. Sofern er überhaupt Probleme hat. Sagt man!
Ich sehe das alles etwas anders und lege zwei Steine hin. Einen habe ich vom letzten Urlaub aus der Schweiz mitgenommen. Einen kugelrunden Kieselstein, den ich mit Axel in der Gorge de l’Areuse gefunden habe. Da habe ich „Lisa“ drauf geschrieben.
Den anderen Stein habe ich auf dem Weg gefunden. Er hat die Form eines Herzens. Diesen lege ich hin in Erinnerung und Dankbarkeit für alle, die an mich geglaubt und die mir Mut für die Wanderung zugesprochen haben. Und natürlich für alle Freunde, Bekannte und lieben Menschen, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind. Egal ob sie bereits tot oder noch lebendig sind.
Etwa zwei Kilometer vor Erreichen des Gipfels erblicke ich 200m abseits vom Weg einen uralten VW Bus vor einer kleinen, baufälligen Hütte. Dann sehe ich einen jungen Mann herauskommen mit einem Eimer voller Steine. Als ich hingehe, kommt er gerade zurück und füllt den Eimer wieder mit den Brocken, die er mühsam mit den Händen aus dem Boden des Gartens herausholt. Ich spreche ihn in Spanisch an. Keine Antwort. Ich frage ihn, ob er Englisch, Französisch oder Deutsch spricht. Da legt er den rechten Zeigefinger auf seine Lippen und deutet mir an, dass er nicht redet. Er schaut mich dabei mit seinen dunklen Augen an und lächelt. Ein ganz gütiges und zufriedenes Lächeln. Blitzschnell habe ich eine Idee, wie ich ihm vielleicht eine Freude bereiten könnte.
Ich setze den Rucksack ab und suche in einem Buch das wunderschöne, gleichmäßig gewachsene fünfblättrige Kleeblatt, das ich vor ein paar Tagen gefunden hatte und das eigentlich zum Einkleben in mein Tagebuch gedacht war.
Er sagt nichts, aber ich sehe wie er sich freut. Ich lege es in seine Hand, die er daraufhin an sein Herz legt. Er verschwindet in seiner Hütte und schenkt mir eine kleine Muschel, vielleicht einer seiner Schätze. Ich nehme sie in meine Hand und lege sie dann auch an mein Herz. Kleine Gesten, die viel aussagen.
Dann geht er zurück an seine Gartenarbeit und ich mache mich wieder auf den Weg. Solche Erlebnisse verschönern die Tage auf dem Camino noch mehr.
Am Cruz der Fer habe ich Sandra aus der Schweiz und die spanischen Brüder getroffen. Sandra gehört zu der Sorte Frauen, die für den Camino geboren sind und
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