Einfach losfahren
Wohnung.
Jeder hätte den Ersatzschlüssel auch bei sich ins Auto legen können, aber es war schon vorgekommen, dass wir sie benutzt und dann vergessen hatten, sie wieder ins Auto zurückzulegen, und früher oder später blieben sie dann zusammen mit den anderen in der Wohnung liegen. Ich holte also seinen Ersatzschlüssel, öffnete und trat ein, auf der Suche nach Federicos betrunkenem oder leblosem Körper. Er war nicht da.
Alles war aufgeräumt, sogar mehr als sonst. Nichts, was nicht an seinem Platz gewesen wäre, kein Teller und keine schmutzige Gabel im Spülbecken. Wo immer er hingegangen sein mochte, vorher hatte er die Wohnung aufgeräumt.
Auf dem Tisch lag ein Zettel für mich.
»Ciao, Michi. Ich hab beschlossen, es zu versuchen. Gieß bitte die Alpenveilchen.«
Das musste ich erst lernen
Mit achtundzwanzig trennten sich also Federicos und meine Wege. Der berühmte Scheideweg. Einer wurde praktisch die Kehrseite des andern. Er die Straße, ich das Haus. Er stürzte sich mit Haut und Haar in ein Abenteuer, ohne zu wissen, was ihn erwartete. Ich hingegen wählte Sicherheit und Beschaulichkeit.
Bis vor wenigen Jahren war ich nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die eine Veränderung mit sich gebracht hätten. Ich war traumatisiert.
Ich war acht und ging in die 3a der Grundschule Giosuè Carducci. An diesem Tag verließ ich nach dem Läuten das Gebäude, stellte mich neben den Betonpfeiler des Schultors und wartete.
Seit einigen Tagen holte mich endlich wieder meine Mutter von der Schule ab, nachdem sie zuvor mehr als einen Monat im Krankenhaus gewesen war.
Doch sie verspätete sich, und während meine Kameraden mit ihren Eltern und auch die Lehrerin schon alle nach Hause gegangen waren, blieb ich allein vor der Schule zurück. Das fiel auch Silvano auf, als er kam, um das Tor abzuschließen. Er rief mich beim Namen. Er kannte mich, weil er in der Pause heimlich Focaccia verkaufte und ich Stammkunde bei ihm war.
»Noch nicht abschließen, Silvano, lassen Sie den Jungen einen Augenblick hereinkommen.«
»Michele, komm rein, die Direktorin will mit dir sprechen.«
»Ich kann nicht, meine Mutter holt mich doch ab, und wenn sie mich nicht sieht, kriegt sie einen Schreck.«
»Dann lasse ich das Tor offen, und wenn sie kommt, sage ich ihr, dass du drinnen bist.«
Während ich die Treppen zur Schulleitung hinaufstieg, überlegte ich, was ich bloß angestellt hatte. Ich war aufgeregt und ängstlich, obwohl ich nicht genau wusste, warum.
Hatten sie die Kaugummis unter meiner Bank entdeckt? War es möglich, dass sie die Handschrift auf den Klotüren erkannt und herausgefunden hatten, dass ich es war, der dort geschrieben hatte: ›Fabrizio Metelli aus der 3e ist doof‹?«
Als ich das Büro betrat, zog die Direktorin sofort ihren Mantel an und sagte, meine Mutter könne nicht kommen und sie selbst werde mich nach Hause bringen.
Ich seufzte erleichtert auf, auch wenn es mir nicht behagte, dass sie mich bringen wollte.
Auf der Fahrt versuchte sie, nett zu sein, aber ich war noch nie ein sonderlich vertrauensseliges Kind gewesen und antwortete immer nur »Ja« oder »Nein«. Nur einmal sagte ich etwas aus eigenem Antrieb: »Sie sind falsch gefahren.«
»Ich bringe dich nicht nach Hause, sondern zu deinen Großeltern, sie erwarten dich.«
Meine Oma wartete vor dem Haus. Sie bedankte sich bei der Direktorin, die sich von mir verabschiedete und, bevor sie davonfuhr, zu Oma sagte: »Es tut mir unendlich leid, mir fehlen die Worte.«
Während ich die Treppe hochging, fragte ich, wo Mama sei und weshalb nicht sie mich abgeholt habe. Aber Oma antwortete nicht.
Zum ersten Mal hörte ich nicht in der Küche den Fernseher laufen, als ich in die Wohnung meiner Großeltern kam. Opa saß nicht am Tisch, sondern hatte sich ins Zimmer zurückgezogen und kam erst ein paar Minuten später heraus, nachdem er heimlich mit Oma gesprochen hatte.
Während ich am Tisch saß und wartete, dass mir jemand etwas zu essen hinstellte, kam Opa in die Küche und sagte, er müsse etwas Wichtiges mit mir besprechen.
Er setzte zu einer wirren Rede an. Meine Mutter sei ein besonderer Mensch und habe für eine Weile fortgemusst, dann sagte er etwas von Engeln und Jesus und dass dieser mich von diesem Tag an beschützen werde und mir noch näher sei. Erst am Ende seiner Rede begriff ich, dass er mir einfach nur zu erklären versuchte, weshalb meine Mama mich nicht abgeholt hatte. Sie hatte nicht in die Schule kommen können,
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