Einfach sexy
treffen. Doch anstatt in Richtung Grün flog der Ball hoch in die Luft und traf ungefähr dreißig Meter vor ihnen auf, neunzig Meter von der Flagge entfernt.
Die beiden standen nur da und starrten auf den winzigen Ball. Die Sonne stieg langsam höher, es war noch nicht zu warm, der Himmel kobaltblau und wolkenlos. Ein Silberreiher glitt in elegantem Flug hinunter und ließ sich auf einem der Pappeln nieder, die die Spielbahnen säumten.
» Jetzt kannst du dein Neunereisen benutzen«, schmunzelte er. Er strebte zurück zum Wagen, bevor er versucht war, sie zu berühren.
Kate ging das kurze Stück und zielte diesmal ausnehmend gut. Mit vier Schlägen war sie auf dem ersten Grün. Nicht schlecht für jemanden, der seit der Highschool nicht mehr gespielt hatte. Als sie vor Begeisterung jubelte, musste Jesse lachen.
Nachdem sie mit zwei Schlägen eingelocht hatte, fuhren sie zum zweiten Abschlag.
Zum ersten Mal seit Wochen hatte Jesse wieder Lust, einen Schläger in die Hand zu nehmen. Vorher hatte er sich ständig dazu zwingen müssen. Er beschloss jedoch, bis zum Abend zu warten, wenn er durch den Zaun auf das Gelände schlüpfen konnte. Es war nämlich sinnlos, solange er sich beobachtet und unsicher fühlte.
Während der nächsten drei Löcher unterhielten sie sich kaum, beide waren in ihre Gedanken versunken. An Nummer sechs bemerkte Jesse eine Veränderung an Kate, die zunehmend besser spielte.
Sie konzentrierte sich auf ihren Schuss und zielte direkt auf
die Flagge. Jesse fiel auf, dass sie, wenn sie sich konzentrierte, an ihrer Unterlippe kaute. Er fand das sexy.
Wie mittlerweile überhaupt so vieles an ihr. Wie sie sich bewegte, ja sogar den albernen Stift mit der Feder, den sie in ihrem Küchenschrank aufbewahrte. Kate war einfach anders als alle Frauen, die er kannte.
Als ein Abschlag voll danebenging, lachte er und stellte verblüfft fest, dass er automatisch ihren Schläger übernehmen wollte. Für einen kurzen Moment blieb er irritiert stehen. Aber es war niemand in der Nähe, die vier in dem anderen Wagen waren weit hinter ihnen.
»Geh mal beiseite«, sagte er und spürte seinen früheren Kampfgeist, »und lass dir von einem Profi zeigen, wie’s gemacht wird.«
Lächelnd beobachtete Kate, wie er den Ball auf die Spielbahn chippte, der darauf bis kurz vors Loch rollte. Er puttete ihn für sie ein. »Damit habe ich deinen kleinen Hintern vor einem weiteren Bogey oder Schlimmerem bewahrt«, scherzte er nicht ohne Stolz.
Kate nickte und konzentrierte sich auf den nächsten Abschlag. Ab da spielte sie recht professionell für jemanden, der eher selten einen Golfschläger in die Hand nahm.
Jesse hielt sich bis zur achten Spielbahn zurück. Es reizte ihn maßlos, einen Schläger zu schwingen. Und als Kate für einen kurzen Schlag aufs Grün ging, legte er einen Ball neben ihren.
»Ich gebe dir eine Zweischlag-Vorgabe«, sagte er.
»Kleines Turnier gefällig, Mr. Chapman?«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Wer hätte gedacht, dass Kate sich darauf einlassen würde? Sie rieb sich die Hände und kicherte hämisch, bis er ihr lachend den Schläger wegnahm. »Pass auf, sonst vergießt du nachher noch Krokodilstränen«, prahlte er.
Als er jedoch zum Schlag ansetzte, kreischte sie laut los.
Jesse wusste genau, dass sie sich einen Scherz mit ihm erlaubte.
Trotzdem war er plötzlich stocksauer, denn es erinnerte ihn an das Ereignis ungefähr einen Monat zuvor auf der Driving Range in Westchester, wo am darauf folgenden Tag ein Turnier startete. Von jenem Moment an hatte Jesses Spiel dramatisch nachgelassen.
Es war am frühen Morgen, kurz vor Sonnenaufgang. Jesse hatte in aller Ruhe noch ein paar Bälle einputten wollen. Aber daran war kein Denken gewesen. Sein Vater hielt sich bereits seit dem Morgengrauen auf der Range auf. Carlen Chapman drosch auf die Bälle ein, er stank nach Alkohol und war wütend, weil Jesse ihn am Vorabend anlässlich seiner Rede bei einem Spielerdinner der versammelten Gesellschaft mit keinem Wort würdigend erwähnt, ja nicht einmal vorgestellt hatte – ihn, den eigenen Vater.
Aber Jesse war nicht weniger aufgebracht, denn er hatte die Launen und Vorhaltungen seines Vaters restlos satt. Und in diesem Augenblick hatte er die gleiche eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit wie Carlen, sodass beide von der plötzlichen Änderung der Situation völlig überrascht wurden.
Es ging alles rasend schnell. Die Frau tauchte auf und kreischte Jesse! , wie so viele es taten. Dann der
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