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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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dessen klassische Fassade über das Mittelmeer hätten blicken können, die aber jetzt im Wind der Nordsee dahinzuwelken schienen. Hier und da betonten klassische Ornamente den Kontrast. Karyatiden und skulptierte Masken aus Komödie und Tragödie blickten von den Ecken des Gebäudes auf die graue Wirrnis der Gartenwege; aber die Gesichter erschienen wie vom Frost zerbissen. Und selbst die Voluten der Kapitelle wirkten wie vor Kälte eingerollt.
    Father Brown schritt die grasigen Stufen zu einer viereckigen Vorhalle hinauf, die von großen Pfeilern flankiert war, und klopfte an die Tür. Ungefähr 4 Minuten später klopfte er erneut. Dann stand er still und wartete geduldig mit dem Rücken zur Tür und blickte hinaus auf die langsam dunkler werdende Landschaft. Sie wurde dunkler durch den Schatten jenes einen großen Wolkenkontinents, der aus dem Norden herangezogen kam; und während er noch zwischen den Pfeilern der Vorhalle hinaussah, die im Zwielicht hoch und schwarz über ihm erschien, erblickte er den schillernd einherschleichenden Rand der großen Wolke, wie sie über das Dach segelte und sich wie ein Baldachin über die Vorhalle wölbte. Der graue Baldachin schien mit seinen schwach gefärbten Fransen tiefer und tiefer auf den Garten hinabzusinken, bis von dem eben noch klaren und blaßfarbenen Winterhimmel nicht mehr als ein paar silberne Streifen und Fetzen wie bei einem kränklichen Sonnenuntergang übriggeblieben war. Father Brown wartete, doch von innen hörte man keinen Ton.
    Dann begab er sich rasch die Stufen hinab und um das Haus herum, um nach einem anderen Eingang zu suchen. Schließlich fand er einen, eine Seitentür in der glatten Mauer, und auch an diese klopfte er, und auch vor dieser wartete er. Dann versuchte er den Türgriff und stellte fest, daß die Tür offenbar verriegelt oder sonstwie verschlossen war; und dann bewegte er sich an dieser Seite des Hauses entlang und grübelte über die Möglichkeiten der Situation nach und fragte sich, ob der exzentrische Mr. Aylmer sich vielleicht so tief im Hause verbarrikadiert habe, daß er kein Klopfen und Rufen hören könne; oder ob er sich in der Annahme, jedes Klopfen und Rufen müsse die Herausforderung des rachedurstigen Strake sein, nur um so mehr verbarrikadiere. Es mochte auch sein, daß die abziehenden Dienstboten am Morgen beim Weggehen lediglich eine Tür aufgeschlossen hatten, die ihr Herr dann wieder verschloß; was immer aber er getan haben mochte, so war es unwahrscheinlich, daß sie in der Stimmung jenes Augenblicks so sorgsam auf die Verteidigungssysteme geachtet haben sollten. Er setzte seine Erkundung um das Haus herum fort; es war gar keine so große Anlage, wenngleich vielleicht ein bißchen angeberisch; und nach wenigen Augenblicken stellte er fest, daß er sie vollständig umrundet hatte. Einen Augenblick später fand er, was er vermutet und gesucht hatte. Die Terrassentür eines Zimmers stand, von Vorhängen bedeckt und von Schlinggewächsen überschattet, einen Spaltbreit offen, sicherlich versehentlich offengelassen, und so fand er sich in einem zentralen Raum, bequem eingerichtet auf eine ziemlich altmodische Weise, aus dem auf der einen Seite eine Treppe nach oben und auf der anderen Seite eine Tür hinausführte. Unmittelbar ihm gegenüber befand sich eine weitere Tür, in die rotes Glas eingelassen war, ein bißchen zu bunt für den neueren Geschmack; etwas, das wie eine rotgekleidete Figur in billigem Buntglas aussah. Auf einem runden Tisch zur Rechten stand eine Art Aquarium – ein großer Behälter, gefüllt mit grünlichem Wasser, in dem sich Fische und ähnliche Geschöpfe wie in einem Weiher bewegten, und ihm genau gegenüber eine Pflanze der Gattung Palme mit sehr großen grünen Blättern. Alles das sah so sehr verstaubt und frühviktorianisch aus, daß das Telephon, sichtbar hinter den Vorhängen des Alkovens, fast überraschend wirkte.
    »Wer ist da?« rief eine Stimme scharf und ziemlich mißtrauisch hinter der Buntglastür hervor.
    »Könnte ich Mr. Aylmer sprechen?« fragte der Priester entschuldigend.
    Die Tür öffnete sich, und ein Gentleman in pfauengrünem Morgenrock trat mit fragendem Gesichtsausdruck ein. Sein Haar war ziemlich struppig und unordentlich, als ob er im Bett gewesen wäre oder gerade dabei, langsam aufzustehen, aber seine Augen waren nicht nur wach, sondern geradezu wachsam, ja, mancher würde gesagt haben alarmiert. Father Brown wußte, daß ein solcher Widerspruch bei einem Manne,

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