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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Selbstmord gestanden.«
    Flambeau legte seine Zigarre hin. »Sie meinen«, sagte er, »daß das Schriftstück gefälscht war?«
    »Nein«, sagte Father Brown; »Quinton hat es schon selbst geschrieben.«
    »Was wollen Sie denn dann?« sagte Flambeau ärgerlich; »Quinton schrieb mit eigener Hand: ›Ich sterbe von eigener Hand‹ auf ein einfaches Stück Papier.«
    »Von falscher Form«, sagte der Priester ruhig.
    »Verdammte Form!« schrie Flambeau. »Was hat die Form damit zu tun?«
    »Da lagen 23 Blatt beschnittenes Papier«, machte Brown ungerührt weiter, »aber nur 22 abgeschnittene Ecken. Also war eine der abgeschnittenen Ecken zerstört worden, vermutlich die von dem beschriebenen Blatt. Sagt Ihnen das was?«
    Verständnis leuchtete in Flambeaus Gesicht auf, und er sagte:
    »Quinton hatte noch mehr geschrieben, ein paar weitere Wörter. ›Man wird sagen, ich sterbe von eigner Hand‹, oder ›Glaubt nicht, ich –‹«
    »Immer heißer, wie die Kinder sagen«, sagte sein Freund. »Aber das Stückchen war kaum einen halben Zoll breit; kein Platz für ein Wort, geschweige denn für fünf. Können Sie sich etwas kaum Größeres als ein Komma denken, was der Mann mit der Hölle im Herzen als Zeugnis wider sich wegschneiden mußte?«
    »Ich kann mir nichts denken«, sagte Flambeau schließlich.
    »Und was ist mit Anführungszeichen?« sagte der Priester und schleuderte seine Zigarre weit weg ins Dunkel wie eine Sternschnuppe.
    Kein Wort kam aus des anderen Mannes Mund, und Father Brown sagte wie jemand, der aufs Grundsätzliche zurückkommt:
    »Leonard Quinton war ein Romancier, und er schrieb an einem orientalischen Roman über Zauberwesen und Hypnotismus. Er – «
    In diesem Augenblick wurde die Tür hinter ihnen energisch geöffnet, und der Doktor kam heraus, den Hut auf dem Kopf. Er drückte dem Priester einen großen Umschlag in die Hand.
    »Hier ist das Dokument, das Sie haben wollten«, sagte er, »und jetzt muß ich nach Hause. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, sagte Father Brown, als der Doktor energisch zum Gartentor schritt. Er hatte die Vordertür offengelassen, so daß ein Strahl des Gaslichtes auf sie fiel. In diesem Licht öffnete Brown den Umschlag und las die folgenden Worte:
     
    »Lieber Father Brown – Vicisti, Galilaee! Oder anders, verflucht seien Ihre Augen, die alles so sehr durchschauen. Kann es denn möglich sein, daß hinter dem Zeugs, was Sie verzapfen, doch etwas steckt?
    Ich bin ein Mann, der seit seiner Knabenzeit an die Natur geglaubt hat, und an alle natürlichen Funktionen und Instinkte, egal ob man sie moralisch oder unmoralisch nennt. Lange bevor ich Arzt wurde, als ich noch Schuljunge war und mir Mäuse und Spinnen hielt, glaubte ich schon, daß ein gutes Tier zu sein das Beste auf Erden sei. Doch jetzt bin ich darin erschüttert; ich habe an die Natur geglaubt; aber jetzt sieht es so aus, als könne die Natur den Menschen verraten. Kann in Ihrem Humbug doch etwas stecken? Mir scheint, ich werde morbide.
    Ich liebte Quintons Frau. Was war daran falsch? Die Natur befahl es mir, und Liebe ist es, die die Welt in Gang hält. Auch war ich ehrlich der Überzeugung, daß sie mit einem sauberen Tier wie mir glücklicher sein würde als mit jenem kleinen verrückten Quälgeist. Was war daran falsch? Ich sah als Mann der Wissenschaft lediglich den Tatsachen ins Gesicht. Sie wäre glücklicher gewesen.
    Nach meinem eigenen Glauben stand es mir völlig frei, Quinton zu töten, was für alle das beste war, selbst für ihn. Aber als gesundes Tier hatte ich nicht die Absicht, mich selbst zu töten. Ich entschloß mich daher, es niemals zu tun, es sei denn, daß ich eine Möglichkeit sähe, damit ungestraft davonzukommen. Diese Möglichkeit sah ich heute morgen.
    Ich war heute insgesamt dreimal in Quintons Arbeitszimmer. Als ich das erste Mal hineinging, wollte er über nichts anderes reden als über eine verrückte Geschichte von Zauberei mit dem Titel ›Der Fluch eines Heiligen‹, an der er schrieb und die sich nur darum drehte, wie ein indischer Einsiedler einen englischen Oberst dazu bringt, sich selbst zu töten, indem er an ihn denkt. Er zeigte mir die letzten Seiten und las mir sogar den letzten Absatz vor, der ungefähr so lautete: ›Der Eroberer des Punjab, nurmehr ein gelbes Skelett, aber immer noch ein Riese, schaffte es, sich auf den Ellenbogen aufzurichten und seinem Neffen ins Ohr zu keuchen: „Ich sterbe von eigener Hand; und dennoch sterbe ich ermordet!“‹ Nun hatte es

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