Einladung zur Hochzeit
PROLOG
Dr. Ben Standing Bear, Allgemeinarzt. Das Schild hatte knapp eine Woche ausgehangen, als die Einladung per Post kam. Sonst blieb sein Briefkasten leer, bis auf Reklame.
Wer würde ihm eine Einladung schicken? Er war noch nicht lange genug, in Pontotoc, um jemand hier privat zu kennen. Zuerst hatte er geglaubt, es sei ein Versehen.
Doch die Einladung war an ihn persönlich gerichtet. Und wie viele Ärzte in Mississippi wurden Standing Bear -
Aufrechter Bär - genannt?
Er schätzte, kein Einziger.
Ben öffnete den Umschlag und zog die Karte heraus: Mrs. Betty Anne Pickens gibt sich die Ehre, Sie zur Party anlässlich der bevorstehenden Hochzeit ihrer Tochter, Josie Belle Pickens, mit Jerry Bob Crawford, einzuladen.
Josie Belle. Ben hatte sie seit Jahren nicht gesehen, aber ihr Name zauberte ihr Bild hervor, als ob es gerade gestern gewesen wäre - ihr strahlendes Lächeln, die blauesten Augen diesseits des Himmels und rotes Haar, so wild wie sie selbst war. Während der Collegezeit waren sie befreundet gewesen. Studienfreunde, hatte Josie Belle immer betont. Und so wird es wohl auch gewesen sein, nahm er an. Er hatte die Bücher studiert, und sie hatte studiert, wie man in Schwierigkeiten geriet.
Ben lächelte, als er sich daran erinnerte. Josie war ein impulsiver Frechdachs gewesen, eine Rebellin, die nichts lieber tat, als Demos zu organisieren. Und es hatte immer einen Anlass dafür gegeben, ob es nun gegen das Netzfischen in Delfingewässern ging oder um die Erhaltung einer seltenen Art von Schnecken im Wassergebiet des 3
Tombigbee im Staate Tennessee. Josie war gegen das Abschlachten von Gorillas in Äquatorialafrika marschiert, sowie gegen Luftverschmutzung und nicht zuletzt auch gegen das Abladen von Chemikalien in Flüsse und Bäche.
Kurz, Josie Belle Pickens war das absolut richtige Mädchen für eine ehrenhafte Sache gewesen, das auch verstanden hatte, dieser Sache Schwung zu geben.
Natürlich war sie jetzt eine Frau ... eine Frau, die kurz davor stand zu heiraten.
Komisch. Ben hatte es sich nie vorstellen können, dass Josie sich jemals häuslich niederlassen würde. Welcher Mann war außerdem schon mutig genug, sich so einem stürmischen Eheleben auszusetzen?
Er wollte verdammt sein, wenn er nicht hinginge. Tatsächlich konnte er es kaum abwarten.
1. KAPITEL
"Ich hoffe, dass du nicht das rote Kleid heute Abend zur Party anziehst, Josie Belle."
Eigentlich hatte Josie Belle vorgehabt, das blaue zu tragen. Doch jetzt, wo Tante Tess den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, war Josie fest entschlossen, ihn aufzunehmen. Die älteste Schwester ihrer Mutter glaubte, sie wisse alles, und zwar besser als alle anderen. Und nicht genug damit, sie führte sich auch auf, als ob sie auf einer Missionsreise wäre, um die gesamte Pickens-Familie vor dem moralischen Ruin zu bewahren.
Josie würde heute Abend das rote Kleid tragen und 4
wenn es sie umbrachte.
"Natürlich ziehe ich das rote an, Tante Tess. Rot ist meine Lieblingsfarbe."
"Es beißt sich mit deinem Haar."
"Es gibt mir das Gefühl, stark zu sein."
"Vor Bobs Mutter solltest du dich eher sanft geben. Du weißt, dass Clytee Crawford sich für die einflussreichste Frau in der Stadt hält. Wenn ich du wäre, würde ich mich in ihrer Gegenwart gut aufführen. Zumindest bis nach der Hochzeit. Und vergiss nicht, sie hat auch ihre guten Seiten."
"Die hat sie nicht."
"Josie Belle!" Ihre Mutter hatte ziemlich beunruhigt den Wortwechsel zwischen ihrer eigenwilligen Tochter und ihrer störrischen Schwester verfolgt.
"Benimm dich."
"Ich bin froh, dass du endlich mal was sagst, Betty Anne. Rede du mit deiner Tochter. Auf mich hört sie ja nicht."
Tante Tess stand vom Küchentisch auf, wo sie alle drei bei einer Tasse Kaffee zusammen gesessen hatten, bis das Thema rotes Kleid aufkam. Sie sammelte die Tassen ein, obwohl ihre Schwester noch nicht einmal mit dem Trinken angefangen hatte.
"Ihr zwei macht das unter euch aus, Betty Anne. Ich möchte heute Abend auf der Party hübsch zurechtgemacht und gut gelaunt erscheinen. Also ziehe ich mich jetzt lieber zurück und fange damit an."
Tess Clemson verschwand durch die Tür, und Betty Anne warf ihrer Tochter einen warnenden Blick zu.
"Sprich's nicht aus, Josie Belle!"
Josie Belle blitzte der Schalk aus den Augen, und plötzlich brach ihre. Mutter in Lachen aus. Sie lachte so sehr, 5
dass ihr die Tränen die Wangen herunterliefen.
"Nun gut, nun gut, du hast ja Recht. Tess könnte sich wahrlich nicht
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