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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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zu ihr sagte. Ich fragte nach ihrem Leben ... Die jüngste Großmutter Süddeutschlands also, 29 Jahre war sie alt, als ihr erstes Enkelkind das Licht der Welt erblickte ..., dachte ich, vor ihr stehend. »Ob ich jetzt Oma zu ihr sagen müsse?«, fragte ich, als ob ich scherzen wollte mit ihr, wie damals, als wir miteinander scherzten, als ob wir uns nicht liebten. (Gewiss nur eine Kindergartenliebe.) Doch jetzt bestand sie darauf, dass auch ich sie Oma nannte, um das Kind nicht mit zu vielen Namen zu verunsichern, wie sie sagte. Und du? Du bist Kavalier der Straße! Ich gratuliere dir! Sie hatte es im Südkurier gelesen. Ich hatte bei einem der Unfälle, auf die ich auf meinen Fahrten stieß, erste Hilfe, Mund-zu-Mund-Beatmung geleistet und damit möglicherweise ein Leben fortgesetzt und dafür auch noch die Auszeichnung vom Landrat von Konstanz bekommen. Das war im Südkurier abgebildet, wie mir der Landrat die Urkunde überreichte; und aufgrund des Fotos mit meinem Namen darunter hatte sie mich überhaupt erkannt und angesprochen, als sie beim Spaziergang auf unserem Friedhof auf mich stieß und gleich meinen Namen wie eine Frage vor sich hin sagte: »Du? Bist du es?« Wir hatten uns schließlich seit jenem Abend gegen fünf, als wir uns vom Kindergartentürchen weg aus den Augen verloren, nicht mehr gesehen. Doch sie wusste fast alles von mir. -
    Wir ziehen immer weiter. Einige von uns verunglücken, bleiben liegen, aber für die Überlebenden gibt es zum Glück den Kavalier der Straße und das Rote Kreuz; und wenn wir uns im Gebirge versteigen, kommen sie mit dem Hubschrauber und holen uns zurück. Gabi lebt, ist die jüngste Großmutter, während ich mehrfach ausgezeichneter Kavalier der Straße bin.
    Aber unser Versprechen (ewige Liebe, später heiraten) haben wir nicht gehalten. Damals mussten Tränen herhalten zum Beweis, dass wir uns immer lieben wollten, zum Beweis, dass wir ... dass wir ... dass wir ... waren. Die Tränen unserer Kindheit, schauerlich weit weg.
     
    Auch mein Monsignore, Franz Sales, hat geweint, als ich ihn zum letzten Mal besuchte. Er ging zwischen seinem Vogelkäfig und mir hin und her. »Viel zu viel Futter!«, stöhnte er.
    Unser Leben wird von Tränen begleitet, von Menschen, die von uns weggehen. Franz Sales hat auch nur geweint. Er griff mit seinen dicken Händen nach mir und umarmte mich alla romana. Einen letzten, feuchten Schmatz gab er mir noch. Vor seiner Haustür stehend war ich damals (vielleicht nur augenblicksweise) froh, ihm und allem entronnen zu sein. Und heute?
    Er werde für mich da sein, beten, sagte er, der Titularbischof, das arme Schwein, auf meine Rückkehr hoffend, umsonst. Mit diesem Versprechen - für mich da sein - hatte mich schon meine Großmutter in den Schlaf gewiegt, sie, die dieses Versprechen nicht halten konnte, nun ein Leben lang vermissend.
    Bei einem unserer Abschiedsabende (unser Abschied zog sich über Tage hin) im Leau vive platzte noch die Eiterbeule ... Mein Eiterzahn nahm auf Ort und Zeit, Essen und Abschied keine Rücksicht. Und ich wusste immer noch nichts von meinem Leben, nur so viel vielleicht: dass meine Geschichte eine Zahngeschichte war.
    In der vorangehenden Nacht hatte ich noch einen Traum: Das Gesicht von Franz Sales lag als Sandwich auf meinem Teller, im Flachrelief. Ich weiß nicht, was schlimmer war: dieser Illusion gebliebene Albtraum oder der unbezweifelbare Geruch der aufplatzenden Eiterbeule im L'eau vive. Ich hätte sie hinunterschlucken können, aber ein Reflex bewirkte die andere Richtung, diesen Teller zwischen Franz Sales und mir. So wollte es der Zufall oder das Schicksal, dass unser letztes Essen im L'eau vive eines der unvergesslichen blieb.
    Immer gab es Menschen in meinem Leben, die weiterhalfen; und schon war eine indische Nonne da, die lächelte, zwei Nonnen, die lächelten und dabei die Tischdecke wechselten, so wie sie auch die Wäsche gewechselt hätten, wenn wir ins Bett gemacht hätten.
    Da dies nicht alles sein konnte, fragte mich Franz Sales, ob er mich noch einmal nach Nettuno einladen dürfe. Dort stand die Casa Helios, die auch der Kirche gehörte, nicht weit von der Stelle, wo die heilige Maria Goretti von einem Lustmörder getötet worden war, der nach zwanzig Jahren Gefängnis auch im Kloster landete. Noch einmal!
    Heilige Unschuld! Wir forderten eben zu viel voneinander. Die Ansprüche waren ja schon an einen gewöhnlichen Mann oder Menschen sehr hoch.
    Seitdem Franz Sales seine Mutter nicht mehr

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