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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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entschlossen auf den unentschlossen dasitzenden Anton zu und forderte ihn zum Tanz auf (auf Hochdeutsch: Damenwahl). So beginnt zwar nicht Weltgeschichte, aber unsere Geschichte war damit zu Ende. Auf Hochdeutsch!
    Ich weiß genau, dass Anton schon dadurch eingeschüchtert war. Die Befehlssprache bei uns war das Hochdeutsche. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als zusammenzuzucken, zu folgen und zu tanzen.
    Ilse sagte »Komm!«, und sie gingen.
    Was kann aus einer Verbindung von Anton und Ilse schon werden!, dachte ich mir. Aber Anton verdankte sich auch nur einer Verbindung von Ernst und Rosa. Das Leben setzte sich über die sonderbarsten Namen fort.
    Ich hatte mit Anton über alles sprechen können, zumeist war es einfach nur Unterhaltung, Politik, Sport, Wetter, Sex, Autos, jetzt merke ich erst, dass er fort war. Damals merkte ich nichts. Ich glaubte, außer einer neuen Adresse änderte sich gar nichts, und es änderte sich ja auch gar nichts, außer, dass wir uns bis zum heutigen Tag nicht wiedergesehen haben. Zum Klassentreffen kam er nicht.
    Und doch wollten wir, der harte Kern der Romantiker von uns, nun auch noch zum Schwimmen, zum Baden an unseren Weiher, mitten im Wald, wie einst, als die Sehnsucht unsere Zukunft war. »Gehen wir schwimmen!«, sagte Jonnie - oder war es Marlies? Oder Tina? - Jedenfalls einer oder eine von uns, die wir immer noch Sehnsucht hatten, und mit ihr ein Leben lang unser Leben teilten und weiterlebten. Wir hatten uns längst schön getrunken.
    »So ein Blödsinn«, sagten nun Claudia und auch Renate, Realistinnen der ersten Stunde, die eine Juristin geworden, die andere Zahnärztin, die beide ihr ganzes Leben ebenerdig verbrachten, niemals träumten und flogen und abstürzten.
    »Entschuldigung - es war nur so eine Idee!«
    Wiedersehen wollten wir uns. Bald war ein Hoffnungsschmerz in uns, Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben. Und dann blieb der Schmerz als unser Heimweh. Und Tina, die auch zu den Berauschten gehörte, sagte, wir sollten uns nun noch »freimachen!« wie damals bei Dr. Eiermann, und Lucy sagte »spinnst du?« wie in alten Zeiten, und alle lachten. Und doch waren die einen von uns Exhibitionisten, die anderen Voyeure - geworden oder geblieben: Tina machte nun wie von selbst ihre Oberarme frei, und Jonnie auch (ich sah den beiden an, dass sie darin geübt waren); und wir sahen es, wie sie diese ihre immer noch vorzeigbaren Oberarme verglichen, und wie viel noch von Sanitätsrat Dr. Eiermann und seiner Messerimpfung übrig geblieben war, ja, damals konnte man noch jene Stelle erkennen, und wir lachten noch einmal, über unsere Todesangst von einst, die hatte aber gedauert! Und gesessen! Ein Kinderleben lang. Für immer.
    »Gehen wir schwimmen!«
    Doch keiner folgte schließlich dieser verheißungsvollen wie hochgemuten Aufforderung, diesem wiedergeborenen Verlangen nach allem, was rund ist. Denn wir hatten uns längst schön getrunken.
    Nun ist die Vergangenheit mein Heimweh. Dies ist schon alles, was durch unser Meßkircher Nicht-Wiedersehen ausbrach. Die Jahre trennen uns alle, Zeiträume, für die wir Zahlen und keine Namen haben, von dieser am Ende vielleicht gar nicht missglückten Zeit? Und alles zog sich zu einem einzigen Vorbei! zusammen. Unser Wein, unsere Lautstärke, unser Verstummen, schon vor dem Ende des Wiedersehens - wir versprachen einander ganz fest, uns in zehn Jahren wiederzusehen.
     
Die Messerimpfung oder Wenn ich sang, lachten sie
     
    Am anderen Morgen ein Kater und ein Widerwille gegen das Rot am Grunde der Gläser, die ich auf dem Spültisch von Lucy stehen sah, die mir ein Nachtasyl geboten hatte, sowie der Anruf von Marlies: »Nie wieder! - Nevermore!«.
    »Alte Liebe rostet nicht!«, und ich erinnerte mich, noch in den Nachwehen des Alkohols, wie Rolando zu Jonnie und Tina, die nun beide verheiratet waren, aber nicht miteinander, hinübergeschaut hatte, und wie sie schauten. Sie hatten sich für eine Ewigkeit und drei Tage aus den Augen verloren, und nun waren sie wieder ganz die Alten, Adam und Eva, eine Geschichte, die auf einem jener Bänkchen im Hofgarten unter einer jener gewaltigen Linden begann, und es war wohl an einem ganz gewöhnlichen Tag gewesen, nicht einmal im Mai. Und auch ich war wieder ganz der Alte, wie ich schaute, mit meinen Augen, denen ein Stich versetzt wurde, als ich mit meinen Adlerohren hörte, wie sie sich zum Schwimmen verabredeten, meine beiden, für morgen an unserem See. Sie hatten sich so lange

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