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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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unsere lauten Stimmen in der Schwackenreuter Sonntagsstube lag wohl in unserer Sprachlosigkeit. Denn meist schwiegen wir, mussten wir schweigen und konnten gar nichts sagen. So gab und gibt es kein Wort für Liebe. Wir mussten uns mit diesem Fremdwort behelfen. Kein Wort für Liebe in meiner Sprache, nur Hilfswörter gab es, die in die Irre führten. Wenn wir etwas sagen wollten, flüchteten wir uns in eine unserer Fremdsprachen und sagten: Liebe oder Glaube oder auch nur Hoffnung.
    Hatten wir einmal zu sprechen begonnen, mussten wir alles sogleich hinausschreien. Hörte einer uns von draußen, hielt er uns für streitbar und grob unseres Geschreis wegen. Wir Kinder wurden in diese Welt sogleich eingeübt und mussten mitschreien.
    Die Erwachsenen stritten sich, einfach wegen Schwackenreute. Sie wussten, dass sie aus Schwackenreute bestanden. Sie erkannten ihr Elend. Sie wussten, dass sie am Ende der Welt angesiedelt (worden) waren, bis zum Ende ihrer Tage sollten sie da bleiben. Diese Stube und sie selbst waren die Beweisstücke. Dazu erinnern wir Kinder von einst den Rauch, der in dieser Stube lag. Es rauchte zwar nur der Mostonkel, Stumpen hieß, was er rauchte, und wir haben noch das Wunschkonzert von Radio Vorarlberg im Ohr, das uns nichts brachte als gute Wünsche für Onkel und Tanten, Unbekannte, Fremde, Menschen und Tiroler im Einzugsbereich dieses sonntäglichen Konzerts - Jubilare, die wohl lange tot sind. Und wir sehen noch den gestickten Wandschmuck, gestickt von der letzten Stallmagd, und alles, was von ihr übrig blieb: »Iss und trink solangs dir schmekt schon zweimal ist das Geld verreggd.« Waren wir in der Hölle?
    »Es gibt bei uns keine Kultur der Freundschaft!«, sagte Lucy immer. »Freundschaft gibt es nicht bei uns im Fleckviehgau. Es gibt nur die trostlose Ehe mit all ihren Folgen, mit all ihrem Gepränge!«, sagte sie. »Es gibt mittlerweile schwarze Kühe, aber Freundschaft gibt es immer noch nicht!«, erklärte sie. Sie war ja längst in eine richtige Stadt gezogen.
    Unsere Erwachsenen schaukelten sich in ihre Streitfälle hinein, um die Sonntagnachmittage zu überstehen. Weltanschauungsfragen standen im Raum, schwarze Kühe. Die schwarze Kuh. Denn der Umstand, dass in unserem Stall jetzt schwarze Kühe standen, die aus Leer in Ostfriesland angeliefert wurden, und ausgeladen an unserem Bahnhof, der mitten im Wald lag (man sagte: aus strategischen Gründen, denn kein Feind hätte hier einen so großen Bahnhof vermutet, an dem sich die Linien kreuzten, der im Prinzip Nord- und Südpol verband, und ebenso Finisterrae mit Wladiwostok), diese Neuerwerbung galt der Schwackenreuter Seite als Verrat am berühmten braunen Meßkircher Höhenfleckvieh, als Abfall vom richtigen Glauben. Es wurde um die Farbe der Kühe gestritten, das Wunschkonzert und der Rauch setzten uns außerdem zu. Heidegger, unser Viehhändler, war auch gegen die schwarze Kuh; er weigerte sich, den Transport zu übernehmen, so mussten wir einen fremden Viehhändler bestellen, der uns unsere Neuerwerbungen lieferte. Der Mostonkel schrie in den Raum hinein, dass es sich nur bei der (braunen) Meßkircher Höhenfleckkuh um eine richtige Kuh handelte - und wir Kinder wurden in diesen Streit hineingezogen. Ein Entrinnen gab es nicht. Er fuchtelte mit der Tiermarktseite des Südkuriers und verwies auf einheimisches Vieh, das da angeboten wurde. Immer wieder las er, und anschließend schrie er hinaus, was er gelesen hatte (mit einer kleinen Verschiebung, die durch den Most bedingt war): Do-do-do - Kalbin nahe am Ziel! in das Sprachgestöber hinein, das Wunschkonzert von Radio Vorarlberg (von zwei bis vier) und alles übertönend. Onkel Fritz! Wir sollten Onkel sagen, dabei hätten wir Arschloch sagen müssen, ein Wort, das es damals noch nicht gab, Arschloch, ein später eingeführtes Fremdwort. Wir hatten gar nichts von diesem Onkel. Wenn er nicht wegen der Farbe der Kühe stritt und Anzeigen aus den Tiermarktseiten des Südkuriers vorlas, lag er auf dem Sofa und schlief. Wir neuneinhalb Kinder haben niemals ein Geschenk von diesem Onkel bekommen; früh merkten wir, dass wir nichts von diesem Onkel hatten. Unsere liebe Schwackenreuter Großmutter kaufte zu allen kleinen Festen großartige Geschenke und gab vor, diese Dinge kämen vom Onkel. Dann mussten wir uns am Sonntagnachmittag bei ihm bedanken, der mit keinem Wort reagierte.
    Andererseits bekam er jeden Sonntag seine Zigarren von einem von uns Kindern überreicht, die er, ebenfalls

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