Einmal auf der Welt. Und dann so
wortlos, in Empfang nahm. Die Villiger-Stumpen waren schon am Samstag in Meßkirch im Fleckviehgau geholt worden. Wehe, wenn die Zigarren nicht kamen! Ich weiß nicht - es ist ja tatsächlich nie vorgekommen. Mit seiner Schwägerin stritt er sich über Erziehungsfragen, wir waren nicht gezogen, nicht erzogen waren wir. In dieser Feindschaft (und im Most) erschöpfte sich seine Existenz. Die schwarze Kuh - von Norden eingedrungen, drohte seine Heimat, ja seine Existenz zu zerstören. Diese ausländische Erscheinung (aus Norddeutschland) sollte sein heimisches Gras nicht fressen. Und so dachte ganz Schwackenreute. Sie hatten sich gegen diesen heimlichen Krieg, der von Norden her über die schwarze Kuh geführt wurde, in einer Art Heimatwehr verschworen, der ganze Schwanzclan, selbst der Philosoph mischte sich von seiner Hütte her in den Streit ein, er war nach meinem Onkel einer der erbittertsten Feinde der schwarzen Kuh und versuchte ein philosophisches Machtwort zu sprechen, umsonst. Nicht umsonst heißt dieser Strich im Herzen Mesopotamiens, da er sonst namenlos bliebe: Fleckviehgau, in Abgrenzung zu Hegau und Linzgau. -Nur die Mutter des Mostonkels hielt sich im Kuhfarbenstreit zurück. Sie war eine praktische Person, Viehhändlertochter aus einer alten Viehhändlerdynastie, gewiss auch aus Schwackenreute, und zur Unterscheidung von den anderen Viehhändler-Schwanz genannt, in Unterscheidung zu den Oberdorf-, den Unterdorf-, den vorderen, den hinteren, den Waldhüter-, Stiftungsrat- etc. Schwanz. Erst seit '45 hatten sich ja fremde Namen unter den altehrwürdigen Schwanz eingeschoben. Eine hieß Schmigotzki, die wohnte im Bahnhof, die kam von weiß-nicht-wo. Sie nannte sich Schwanz-Schmigotzki und war somit die erste Trägerin eines Doppelnamens.
Wir Kinder saßen auf halber Höhe, sprachlos vor unserem Traubensaft und mit der schwarzen Kuh und den Schweinepreisen im Ohr, den neuesten Zahlen aus Stuttgart; und dass der Heidegger »nur achd under Schdueged« zahlt.
Schwackenreute: Jemand warf die Frage ein, ob er immer noch in die Hose mache. Es ging um mich. Über meinen Kopf hinweg sagten sie er und meinten mich. Ein Gesundbeter wurde genannt, der auch für die Ferkel und den ganzen Stall zuständig war. Von einer Sofadecke war die Rede, die weggeworfen werden musste. Es gab noch mehr Unglück, die Nachbarn, die Selbstmörder, die altledige Cousine und was aus ihrem Erbe werden sollte. Sie war schon fünfundvierzig. Man beschloss, dass wir Kinder von nun an Tante sagen müssten zu ihr. An die Beerdigung des Oberhaupts der Schwackenreuter Seite mag ich gleich gar nicht denken ... Der Schwanz-Onkel kam mit offenem Hosenladen in die Totenmesse. Seine Frau, die Schwarzwälderin, lag zu Hause im Bett, wohl besoffen. Das war das Ende der Schwackenreuter Sonntagnachmittage. Wir Kinder waren nun auch schon längst allem entwachsen. Schwackenreute, der Mostonkel, die Schwarzwälderin, alle leben noch und sind für immer weg vom Fenster.
Der Satz: »Ich soll tot umfallen!« und seine Zuspitzung: »Der Herrgott strafe mich!« waren die Sätze, mit denen Schwackenreuter Lügen eingeleitet zu werden pflegten. Die Schwiegertochter trank, ging seit der Hochzeit nicht mehr aus dem Haus und lag seither nur noch im (Hochzeits-)Bett herum. Sie fremdete, das heißt: Sie hatte Angst vor den Menschen. Sie ging nur in den Stall und bis zum Stalltürchen in die Welt. Einmal kam der Krankenwagen und brachte sie auf die Reichenau (Landesnervenheilanstalt). Ich war zu dieser Zeit gerade (zur Strafe) ein paar Tage in Schwackenreute, Ferien sollten es sein. Ich stand mit den Nachbarinnen im Hof. Sie fragten nach der Schwiegertochter. Ich wurde von diesen übelsinnenden Weibern zum Zeugen aufgerufen. Und auch von der Schwiegermutter. Das Kind, ich sollte durch eine Lüge die Schwackenreuter Welt retten. Ich sollte nur mit dem Kopf nicken, ja anstelle der Wahrheit sagen, als die Schwackenreuter Großmutter erklärte, die Schwarzwälderin sei nicht auf der Reichenau, sie liege den ganzen Tag im Bett wie immer. »Ich soll tot umfallen, wenn das nicht stimmt!«, erklärte sie und blieb mitten unter uns stehen. So ist Schwackenreute auch noch mit meiner ersten Lüge (die ich erinnere), meiner ersten Lüge, die in einem einfachen Kopfnicken bestand, verbunden. Unter diesen Umständen war es weiter nichts, wenn ich dazu auch noch in die Hose machte. Ich verstand das schon bald als Zeichen der Erwählung: Alles hat seinen Sinn, sagte ich mir.
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