Einmal auf der Welt. Und dann so
aus. Und an einer ganz ähnlichen Krankheit. Nur Reservate gibt es nicht für uns. Der hat ja niemals bei uns eine Nacht verbracht, die Nacht verbracht. Denn Gästezimmer gab es noch nicht bei uns. Auch dies ein Fremdwort, sowohl Gast wie auch Zimmer.
Heidegger musste seinem philosophischen Vetter auf kleine Zettel unsere ältesten Wörter schreiben. Unser Viehhändler war aber bequem, ohne Interesse an Wörtern (sein Schweigen hatte der Philosoph wohl falsch ausgelegt, wie auch unser Leben). Und auch die anderen, die im Herrgottswinkel, die in unseren Herrgottswinkeln ausgelauscht wurden, ob sie noch ein ganz altes Wort sagten: je älter, desto ehrwürdiger, je unverständlicher, desto wertvoller. Besonders heilig waren ihm unsere letzten zwei noch lebenden Stallmägde, die Kuhmagd und die Heumagd. Von ihnen erhoffte sich der Philosoph das rettende Wort, für die ganze Welt, glaube ich. Von Freiburg her wurde unser armer Viehhändler immer wieder gedrängt, alte Wörter zu liefern. Helfershelfer wurden eingeschaltet, die die alten Dinge kannten und wussten, wer sie sonst noch kannte. Heidegger hatte besonders den Landmann und die Landfrau ausgewählt, Menschen, die noch von Hand melken konnten oder Menschen kannten, die noch von Hand melken konnten. Oder auch mit der Sense umzugehen verstanden, das Mostfass bedienen konnten und Dinge tun, die es bei uns noch gab und nur noch bei uns.
Der Viehhändler musste all dies regelmäßig in Freiburg abliefern und bekam dafür einen signierten Sonderdruck etc. In einen hatte er geschrieben: Die Sprache ist als Muttersprache nicht nur die Sprache der Mutter. Sie ist als die Sprache der Mutter auch die Mutter der Sprache. Meinem lieben Vetter andenkend-grüßend. Doch der hatte nichts davon und reichte den Gruß an mich weiter. Der Viehhändler war Sammelstelle für alles, was es nur noch bei uns gab und was noch heil war, wie der Philosoph anscheinend und fest glaubte: das Ur-Alte, Heile-Welt-Wörter, das Habermus. Unsere Schweine und unsere alten Wörter wurden alle in die Städte verfrachtet. Gesammelt wurde bei uns, gewogen und ausgeschlachtet wurde in Gaggenau oder in Freiburg.
Und dann wurde vom Geld, das übrig blieb, auch noch eine sogenannte Durchreiche bestellt und eingebaut! Die haben wir sogar einige Male benutzt, aber dann stellte sich heraus, dass es einfacher war, das Geschirr wie in alten Zeiten vom Stubentisch weg in die Küche zu tragen, unter dem Gezänk und Geschrei von uns Kindern.
Ach, sosehr wir nicht sprechen konnten, so sehr zog es. Unsere Schmerzen verschlugen uns die Sprache. Unsere Sprache bestand nur aus Pausen und Unaussprechlichem, aus Schmerzlauten - oder gleich aus Schreien.
In unserer Sprache, die wir auswendig gelernt und bis zum heutigen Tag nicht verstanden haben, sagten wir bald unsere kleinen Sätze von Hunger und Durst, Wollen und Nicht-Wollen, von Schlaf und Schlaflosigkeit. Es hieß Wort und Sprache, was wir nachplapperten, von wem-weiß-ich-nicht erfunden, denn meine Mutter hat die Wörter, die sie mir in den Mund legte, auch nur in den Mund gelegt bekommen.
Von wegen Muttersprache. Meine erste Sprache, die Sprache der Mutter, war ja meine erste Fremdsprache. Muttersprache und Fremdsprache fielen zusammen in meinem Mund.
Und doch: Unsere Größe gaben wir in Hektar (ha) an, unsere Verachtung galt den (anderswo, nicht von uns so genannten) kleinen Leuten, den Handwerkern, den Fabriklern, Kleinstädtern, allen, die keinen Boden unter den Füßen hatten.
Jetzt muss ich dies alles nur noch an der richtigen Stelle in mein Leben einfügen. Erinnerung, Advocatus Diaboli meiner Gegenwart!
Es waren drei Todesfälle, die mich - lachen Sie nicht über meine Geschichte! - kurz aufeinanderfolgend trafen und mit denen ich nun zu leben hatte.
Erst wurde Caro, mein Hund, von einem Auto überfahren und blieb liegen. Unweit davon Gigi, ebenfalls überfahren, begraben und aus meinem Leben verschwunden. Ich könnte die Stelle zeigen ... Gigi auf dem Misthaufen, mit Mist zugedeckt, niemals zurückgekehrt, mich in der Erinnerung festhaltend, am Leben, zu meinem Schmerz. Damals konnte ich nichts anderes als weinen. Die Erinnerung muss herhalten. Ich muss ihr glauben. Einen Grabstein für Gigi gibt es nicht, die Erinnerung ist das einzige Denkmal, nachdem ich auch, in einer herzlosen Zwischenzeit, die Fotos verloren habe.
Damals spielte ich zum ersten Mal mit dem Gedanken, mir das Leben zu nehmen. Ich wünschte mir ja nur, das Kind wünschte sich
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