Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
10. Um 4 Uhr 30 waren sie immer noch nicht gekommen, aber wir lehnten die Aufforderung zum Abendbrot ab und gingen wieder auf den Gartenweg zurück. Ich sagte mir die ganze Tonleiter der Dinge her, mit denen die Verzögerung sich erklären ließ, und keim schließlich zu dem bitteren Ergebnis, daß sie mich nicht haben wollten. Meine Zukunft erschien mir als eine lange Kette von Reisen, von einem Sanatorium zum anderen und mit einem Schwanz von Feinden auf den Fersen.
    Tiefe Dämmerung fiel herab, Kimi und ich konnten kaum noch die Straße sehen. Ein einsamer Wagen schob sich langsam um die Kurve. Wir sprangen hoch und fingen an, unsere Bündel zusammenzusuchen. Der Wagen fuhr an unserem Gebäude vorbei, die Auffahrt weiter hoch. Wir setzten uns wieder hin. Wir konnten hören, wie Schwestern, die von ihrer Arbeit kamen, sich etwas zuriefen, das trübselige Plätschern des Brunnens, den weichen Schritt von Pantoffeln im Gang. Warum kamen sie nicht? Sollte uns die Demütigung bevorstehen, daß wir die Oberschwester noch für eine Nacht um Zuflucht unter ihrem Dach zu bitten hatten? Wir beschlossen, ins Büro zu gehen und noch einmal anzurufen.
    Kimis Mutter nahm bei sich den Hörer ab und war so aufgeregt, als sie Kimis Stimme hörte, und so bitter enttäuscht, weil sie beim ersten Anruf nicht zu Hause gewesen war, daß sie anfing zu schluchzen. Kimi sprach ein paar Minuten lebhaft auf japanisch, hing dann den Hörer auf und übersetzte es mir. „Mutter ist so empfindsam, sie ist doch eine Dichternatur, wissen Sie, und daher natürlich ein bißchen unbeherrscht. Als sie meine Stimme hörte, hat sie angefangen zu weinen, und da hab ich ihr gesagt „Bitte vertrödle nicht die Zeit mit Weinen, Mutti, mach, daß du Vater erwischst, und komm hier raus, so schnell du kannst!“
    Auf langes, langes Läuten bei uns kam keine Antwort. In meiner Verzweiflung rief ich eine Nachbarin an, die mir erzählte, daß die gesamte Familie einen Ausflug ans andere Seeufer gemacht hätte und sie keine Ahnung habe, wann sie, wenn überhaupt, zurückkäme. Ich ließ bestellen, daß ich wenn nötig die ganze Nacht warten würde, aber sie müßten kommen.
    Um 9 Uhr holte die Familie mich ab, und als wir zu Hause waren, blieben wir bis 3 Uhr auf, tranken Kaffee und aßen die übriggebliebenen Schnitten. Als ich in dem unaufgeräumten Hinterzimmer zu Bett ging, zuckte mein Magen wie ein eben geangelter Fisch, aber ich war so glücklich wie noch nie in meinem Leben.

NEUNZEHNTES KAPITEL
    „Wer mit wem?“

    Ich habe den ganzen Sommer gebraucht, bis ich lernte, daß achteinhalb Monate Sanatorium nicht einfach damit abgetan sind, daß man das Sanatoriumsgelände verläßt. Es hatte Blut und Schweiß gekostet, mich der Sanatoriumsroutine anzupassen, und es hat Blut und Schweiß gekostet, mich wieder an das normale Leben zu gewöhnen. Gewisse Merkmale des Sanatoriumslebens, wie die bleiche Gefängnisfarbe, verschwanden mit der Zeit; andere wurden nur durch angestrengtes Bemühen verwischt; einige, wie die Narben der Operation, blieben für immer.
    Zuerst, als ich nach Hause kam, träumte ich jede Nacht vom Sanatorium, wachte jeden Morgen auf, wenn die 5-Uhr-Straßenbahn vorbeiratterte, und wartete auf die Waschwassermädchen. Die erste Zeit stand ich dann auf, holte mir heimlich die Zeitung vom Hauseingang, brühte mir eine große Kanne köstlichen starken Kaffee auf und machte es mir am Frühstücksplatz gemütlich, bis die Familie so gegen 7 nach unten tröpfelte. Nach einem Monat ungefähr wachte ich zwar auf, wußte aber, daß ich zu Hause war, und schlief wieder ein.
    Drei Tage nach meiner Rückkehr bekam ich einen Brief vom Fichtenhain mit eingehenden Anweisungen für die Pflege zu Hause. Es war ein Schemabrief, der an alle entlassenen Patienten geschickt wurde, aber da er vom Chefarzt unterschrieben war, hielt ich ihn für eine ausschließlich an mich gerichtete Warnung. In dem Brief hieß es:
    „1.    Suchen Sie während der ersten sechs Monate einmal monatlich ihren Arzt auf und lassen Sie nach seinem Befinden Röntgenaufnahmen machen.
    2.    Übernehmen Sie nur eine Arbeit, die der Arzt für richtig hält. Lassen Sie sich über Arbeitszeit und Arbeitsplatz von ihm beraten.
    3.    Schlafen Sie jede Nacht wenigstens neun Stunden; eine Ruhezeit von zwei Stunden am Nachmittag ist wünschenswert.
    4.    Schlafen Sie in einem Bett für sich, wenn möglich auch in einem Zimmer für sich. (War das ein moralischer oder ein hygienischer

Weitere Kostenlose Bücher