Einmal scheint die Sonne wieder
mal schön ruhig sein und uns solchen Unsinn aus dem Kopf schlagen, denn vor einem Jahr würde kein Patient entlassen. Ein Jahr bedeutete für Sheila und Kimi August, für mich September. Warum ich die mysteriöse Untersuchung gehabt hatte, konnte sie nicht sagen.
In der Beschäftigungstherapie-Werkstatt stellte mich Miß Gillespie wegen meiner sinnlosen Schiffchenarbeiten zur Rede. Sie sagte, daß auf ihren Regalen Hunderte, jawohl Hunderte von nützlichen Artikeln ausgestellt seien, die frühere Patienten gemacht hätten; daß ich mir die ansehen, sofort an die Arbeit gehen und einen davon machen sollte. Ich wiederholte, daß ich so gern Kurzschrift üben würde. Sie sagte: „Sie sind auch nichts Besseres als wir, Mrs. Bard.“ Da ich Stenographieren immer als eine sehr untergeordnete Tätigkeit angesehen hatte, war ich überzeugt, daß Miß Gillespie immer noch unter dem Eindruck stand, Kurzschrift sei irgendein vornehmes Spiel wie Federball. Ich erzählte ihr, daß ich mir ausgedacht hätte, einen Bezug für mein Lexikon zu häkeln. Sie schien sehr befriedigt von diesem nützlichen Vorhaben.
Das Mittagessen war recht kärglich, mit einer kleinen Scheibe Fleisch für jeden. „Schnippel wäre richtiger gesagt,“ meinte Kimi mit einem trübseligen Blick auf ihre Portion. „Bis August und September,“ grüßten wir uns traurig, als wir uns für die Ruhezeit trennten.
Um 2 Uhr 30 hörten wir das Trapp, trapp, trapp der Oberschwester. Es sagte uns gar nichts. Sie ging zu Kimi und Sheila hinein, kam dann zu mir und befahl mir, mich im Speisesaal zu melden. Ich war im Bademantel und schon auf dem Quaderngang, bevor ich merkte, daß ich barfuß lief. Ich rannte zurück, die Rampe hinauf und in mein Zimmer, ergriff meine Pantoffel, hielt mich aber nicht mit dem Überziehen auf. Als ich in den verlassenen Speisesaal kam, saß Sheila an einem Tisch und preßte unaufhörlich ihre Hände ineinander. Kimi war beim Chefarzt. Ich war als letzte an der Reihe.
Der Chefarzt saß am Schreibtisch der Oberschwester. Er bat mich, Platz zu nehmen, und ich sank matt in einen Stuhl. „Was hielten Sie davon, heute nachmittag nach Hause zu gehen?“ fragte er, und ich konnte nicht antworten. Ich sah ihn nur an. Dann erzählte er mir, daß mein Auswurf seit Oktober negativ gewesen sei, daß ich in einem guten Gesundheitszustand wäre, noch für drei bis fünf Jahre einen Pneumothorax brauche, daß es ihn sehr viel Mühe gekostet hätte, mir beizubringen, daß ich Tuberkulose habe, und daß er immer noch nicht genau wisse, ob mir eigentlich klar sei, wie schwer krank ich gewesen wäre. Ich sagte: „Wenn mein Auswurf seit Oktober negativ war, muß es bei mir doch fast mit dem Tag, an dem ich herkam, besser geworden sein.“ Er antwortete: „Sie sind sehr schnell und erstaunlich gut genesen, und Sie können von Glück sagen, weil Sie große Aufbaukräfte besitzen. Nicht alle sind so gut dran. Wichtig für Sie ist, sich zu erinnern, nicht, daß Ihr Auswurf seit Oktober negativ war, sondern daß Sie eine Kaverne in Ihrer linken und einen Schatten auf der rechten Lunge hatten. Sie haben sehr schwere Tuberkulose gehabt, vergessen Sie das nicht.“ Ich fragte ihn, ob ich mit den Kindern zusammen sein dürfe, und er meinte: „Gewiß, bei Ihnen ist es nicht ansteckend.“ Ich versuchte ihm zu danken, für alles, was er für mich getan hatte, aber er winkte ab. „Nehmen Sie sich in acht,“ sagte er. „Zeigen Sie mir, daß Sie etwas von Tuberkulose gelernt haben, das ist aller Dank, den ich haben möchte.“ Wir schüttelten uns die Hand, und ich ging in die Station zurück, wo ich Sheila und Kimi fand, die auf ihren Betten saßen und sich dumm ansahen.
Miß West kam herein, umarmte uns alle und erbot sich, ins Büro zu laufen und bei uns zu Hause anzurufen. Von allen Seiten kamen Patienten und wollten uns gratulieren, und wir erzählten ihnen allen, daß wir in höchstens zwanzig Minuten mit Packen fertig und fort sein würden. Die Oberschwester hatte mir gesagt, daß ich meine Sachen nicht durch die Desinfektion zu schicken brauche, und so stopfte ich alles holterdiepolter in Kartons und war in zwölf Minuten angezogen und startbereit.
Sheilas Familie kam ungefähr dreißig Minuten, nachdem Miß West angerufen hatte. Kimi und ich zogen unsere Mäntel an und gingen mit ihr bis zum Wagen. Da wir unsere Familien in wenigen Minuten erwarteten, fanden wir, daß wir ja gleich auf dem Weg neben dem Speisesaal bleiben könnten. Es war 3 Uhr
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