Einst herrschten Elfen
sich fallen, im gleichen Moment stürmten die TaiGethen auf die Gruppe menschlicher Krieger und Magier zu. Ringsherum sank die Temperatur stark, ein heulender, eiskalter Wind zog über Sildaan hinweg. Eis bildete sich in den Haaren und verstopfte sogar die Nasenlöcher. Beim Einatmen spürte sie den Reif auf der Zunge.
So laut war der eisige Sturm, dass sie nichts anderes mehr hören konnte. Sie presste das Gesicht auf den kalten Stein des Vorplatzes. Falls außer ihr selbst noch jemand schrie, so war es nicht zu hören. Ihre Stimme hatte einen Klang, als hätte jemand ihre Kehle über Steine geschleift. Nachdem sie ausgeatmet hatte, tat der nächste Atemzug schrecklich weh.
Zum Glück hielt der Sturm nicht lange an. Garan hatte ihr erklärt, dass die Magie meist rasch wieder abklang. Dennoch kam es ihr vor, als wäre ein ganzes Lebensalter verstrichen, ehe der Lärm wieder nachließ. Sie blieb reglos liegen und wartete auf den raschen Tod durch die Klinge der TaiGethen. Alles, was sie hörte, waren die Schritte der Menschen, die sich ihr und dem Tempel näherten.
Schließlich drückte Sildaan sich auf schwachen Armen hoch. Sie war noch wie betäubt von der Kälte und drehte das taube Gesicht zum Tempel, den sie kaum wiedererkannte. Er war mit Reif bedeckt, der die Steine verkleidete, und an Vorsprüngen und Kanten hingen Eiszapfen. Der Raureif überzuckerte den Stein auf dem Vorplatz und hatte auf das Blätterdach am Rande der Lichtung ein bleiches Tuch geworfen. Alles war weiß.
Garan schob ihr eine kräftige Hand unter den Arm und half ihr beim Aufstehen.
»Vorsicht, es ist glatt«, warnte er sie.
Sildaan nickte. Der Raureif taute bereits, rann davon und speiste Beeths Wurzeln und Äste. Auch auf den toten TaiGethen schmolz das Eis. Sildaan schlug sich unwillkürlich die Hand vor den Mund. Die Gesichter waren durch die Erfrierungen geschwärzt, völlig entstellt und zerstört. Die Körper waren sogar zerbrochen, als hätte man Statuen umgeworfen. Gliedmaßen waren von den Körpern abgetrennt, langsam wich die Starre aus ihnen, während sich das Eis zurückzog.
Auf der anderen Seite des Vorplatzes rief ein Vogel. Sildaan fuhr auf.
»Es ist so still«, keuchte sie und rieb die Hände aneinander, um die Taubheit zu vertreiben. »Was habt ihr getan?«
»Ich sagte doch, dass unsere Magie mächtig ist«, erwiderte Garan.
»Nicht die Hälfte hast du mir verraten.« Sildaan lächelte zaghaft und betrachtete ihre Hände. Das Zittern hatte nichts mit der Kälte zu tun. Flüsternd fuhr sie fort: »Trotzdem, es scheint so, als ginge dies leichter als erwartet.«
Auum zog den Atem scharf zwischen den Zähnen ein. Das Vernichtungswerk war eine Beleidigung für Beeth, den Gott der Wurzeln und der Äste. Grob, achtlos und hässlich. Gesplitterte Äste, zerrissene Lianen, zertrampelte Büsche. Verursacht von Eindringlingen, die nicht im Wald geboren waren. Von den Menschen, die jeder TaiGethen mit Yniss’ Segen hetzen sollte.
Auum kniete nieder und fuhr mit den Fingern über den Boden, in dem sich noch die Abdrücke der schweren Stiefel abzeichneten. Mitten im Regenwald und so weit von der Küste entfernt, wie es nur möglich war. Auum ließ die Hand auf dem Boden liegen, als direkt über ihm ein riesiges Blatt das Regenwasser auf ihn herabstürzen ließ. Gyals Tränen und das Rauschen des Gusses sollten ihn erfrischen.
Schließlich stand er auf und richtete sich an seinen Lehrer, den Priester Serrin, den zu beschützen ihm in den letzten zehn Jahren seit der Flucht nach Calaius eine besondere Ehre gewesen war. Der Priester war groß und hatte sich den Kopf kahl rasiert. Den bis auf einen Lendenschurz und lederne Schuhe nackten Körper hatte er völlig weiß angemalt. Ohren und Nase waren mit Stiften und Ringen geschmückt.
Serrin war einer der Schweigenden. Er hatte sich verpflichtet, Yniss in dessen Tempeln wortlos zu dienen und die Aufzeichnungen und Reliquien zu hüten.
»Fremde.« Auum stand auf. »Sie ziehen nach Aryndeneth.«
Serrin kniff die großen mandelförmigen Augen zusammen und überlegte offenbar, ob es notwendig war, ein Wort zu sagen. Hier draußen war dies erlaubt, auch wenn die Schweigenden gewöhnlich lange zögerten, ehe sie von dieser Freiheit Gebrauch machten.
»Wer?«, fragte Serrin mit ungeübter, heiserer Stimme.
»Es war kein Terassin, dazu sind sie zu unbeholfen. Menschen sind es, und zwar mindestens fünfzehn.« Auum spie aus. »Tausend Jahre gesegneter Einsamkeit. Warum können
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