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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Sommerabend, ein kleiner, bärtiger, gewiß vernünftiger Herr geboren wird, der kein Aufhebens macht und sich als zwar anhänglicher, aber auch selbstbewußter Hausgenosse herausstellt, ein achtundzwanzigjähriges Geschöpf, das den verdutzten Eltern intensive Kindesliebe anbietet und dafür nichts anderes fordert, als daß man ihm erlaubt, die verschiedenen Uhren im Haus zu zerschlagen, womit er gleich zu erkennen gibt, welch ein eigentümliches Verhältnis er zur Zeit hat, und da er das nicht für sich behalten will, stößt der Mann die Frau an und sagt: Stell dir mal vor, wenn uns das passiert -, und noch während seines Entwurfs einer unerhört verzögerten Geburt unterbricht ihn die Frau, hebt den Koffer auf den Schoß, als ob sie aufstehen und gehen möchte, und sagt leise, damit der Alte nichts aufschnappt: leicht, mir ist auf einmal ganz leicht; mal nur nicht den Teufel an die Wand. Ich muß zugeben: auch diese unvermutete Schwebe, in die alles geraten ist - deine grünweiße Fähre, die unterschiedlichen Passagiere, der Strom und was auf ihm hinfährt - kann eine Erlösung sein, eine Lossprechung von Gewohnheiten, und gerade fragst du dich, wie lange sie denn dauern könnte, da bewegt sich der Alte mit dem eisengrauen Haar, steht auf, fröstelt, stellt für sich fest, daß der sehr lange Mantel immer noch nicht lang genug ist und gekrümmt, niedergezogen von Jahren oder Einsichten, geht er zum Niedergang, vorbei an dem beklommen schweigenden Paar, das ihn nun erkennt oder wiedererkennt, woran er jedoch gewohnt ist, denn er erwidert keinen Blick, dreht sich vor dem Niedergang um und steigt behutsam, mit den Füßen nach den Stufen tastend, zum unteren Deck hinab, bleibt dort allerdings nicht stehen, sondern geht auf eine weiße, mit Vorreibern gesicherte Eisentür zu, öffnet die Tür, von der du nicht weißt, wohin sie führt, und schließt sie von innen, energisch, wie endgültig; dennoch dauert es eine Weile, bis die Frau ihren Blick von der Tür löst und fragt: War das nicht... ? - und keine Antwort erhält, weil ihr Mann sich wegduckt vor einer Möwe, die tadellos angewinkelt aus der Höhe stürzt und dann einen scharfen, kühlen Luftzug fühlbar werden läßt, und auch danach keine Zeit findet, die Frage zu beantworten, weil der Kapitän ein erregtes Kommando gegeben hat, das die Fähre nach Steuerbord krängen, sie aus ihrem alten Kurs ausscheren läßt, wodurch er wahrscheinlich eine Kollision vermieden hat, obwohl weder er noch das Paar vollkommen sicher sind, denn über die Nock, über die Reling gebeugt beobachten sie, wie der Schleppzug dicht unter dem Bug der Fähre stromaufwärts mahlt - so nah, daß man hinabspringen konnte auf die Hügel aus tonfarbiger Baggererde, die in den Schuten liegen -, während die Fähre fast beidreht und nach den notwendigen, ziemlich verstümmelten Flüchen und Warnungen langsam Fahrt aufnimmt, schneller wird, auf den dunklen Anlegesteg zuhält, wo jetzt Leute aus dem Warteraum treten, unter anderem ein einarmiger Mann, anscheinend der Bruder des Kapitäns, der ausgerechnet eine Überfahrt benutzen will, um über die Frau zu sprechen, die sie beide mehr oder weniger lieben jedenfalls läßt sich voraussehen, daß es auf der Brücke zu einer Auseinandersetzung kommen wird, deren Folgen durchaus erwogen oder durchgespielt werden können; doch leider wissen wir immer mehr als die, die von uns abhängen, deshalb sollte der Ausschnitt genügen, den das Paar auf dem Achterdeck übersieht, der Ausschnitt des unteren Decks, der einen am Boden liegenden Ludi Leibold zeigt, das Gesicht auf einer Nietenspur, mit den Füßen zuckend, und neben ihm kniend der öffentliche Verfolger, der mit einer gebräuchlichen Fessel hantiert, der ein Handgelenk des Barkassenschrecks schon bezwungen hat und nun versucht, auch das zweite an die Kette zu legen, was ihm durch kräftigeren Druck auch gelingen wird, wonach er ihm, da der Anlegesteg immer mehr heranwächst, nur noch einzuschärfen braucht, daß jeder Fluchtversuch sinnlos und jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden sei, besonders wenn sie von Bord gehn und durch die wartenden Leute auf dem hängenden Anlegesteg, der gleich knirschen und aufseufzen wird unter dem Stoß der eisernen Bordwand und der, auch wenn Fender dazwischen liegen, ein paar neue Schrammen abbekommt; doch noch bevor die unvermeidliche Erschütterung durch das Schiff geht, während die Möwen die Verfolgung aufgeben und abstreichen, während schon Leinen

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