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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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klargemacht werden, während der Laufsteg herangeholt wird, setzt die Frau auf dem Achterdeck den Koffer ab, horcht, ergreift das Handgelenk ihres Mannes, der nicht von Ludi Leibold und seinem erfolgreichen Verfolger wegfindet, und sagt: Es ist soweit, und sagt noch einmal, da ihr Mann sie nicht verstanden zu haben scheint: Es geht los, ich spüre, es geht los, worauf er nur in rechtmäßiger Hilflosigkeit feststellen kann: Aber wir haben doch noch keinen Boden unter den Füßen, was der Frau allem Anschein nach, gleichgültig ist denn sie steht auf, wankt aufs knappe Brückendeck - es soll also auf dem Brückendeck und nicht auf dem Achterdeck geschehen -, und laßt sich dort nieder in dem Augenblick, in dem die Fähre festmacht und über den herangerollten Laufsteg der Alte als erster von Bord geht, achtlos, die Hände auf dem Rücken verschränkt; und dich selbst interessiert mehr als alles andere die Art seines Weggangs aus dem sommerlichen Hafenbild: geht so nicht einer ab, der selbst bestimmt, was eine Tatsache ist?

    1969

Herr und Frau S. in Erwartung ihrer Gäste

      ANNE: Die Schnittchen, Henry... Schau dir nur an, wie die Schnittchen aussehen... nach zwei Stunden.
      HENRY: Grau?
      ANNE: Papsig... papsig und aufgeweicht.
      HENRY: Der Salat war zu feucht, Anne, du hast ihn zu lange gewaschen.
      ANNE: Vielleicht habe ich die Schnittchen zu früh gemacht.
      HENRY: Alle Schnittchen werden zu früh gemacht... Aber sie werden nicht anders schmecken als die Schnittchen, die man uns überall vorsetzt.
      ANNE: Du meinst, unsere Gäste werden sich heimisch fühlen.
      HENRY: In jedem Fall können sie deine Salatblätter mitessen.
      ANNE: Eben. Und eine Schildkröte wird hoffentlich dabei sein.
      HENRY: Eine Schildkröte wird sich ein Salatblatt auf ein Schnittchen legen... und andere werden es ihr nachtun... Du wirst schon nicht darauf sitzen bleiben.
      ANNE: Von mir aus könnten sie jetzt kommen.
      HENRY: Es ist erst zwanzig nach sieben... und wir hatten ausgemacht: um acht.
      ANNE: Soll ich sie gleich hinstellen? Die Schnittchen, meine ich.
      HENRY: Ich werde uns was zu trinken machen, Anne,
      ANNE: Du versprichst mir, gleich mitzuessen?
      HENRY: Ich verspreche es... Wieviel Eisstückchen heute?
      ANNE: Zwei bitte... Henry? Verstehst du das?
      HENRY: Was?
      ANNE: Wir erfinden soviel... Warum muß es ausgerechnet Schnittchen geben, wenn Menschen zusammenkommen? Könnten wir uns nicht auf etwas anderes einigen?
      HENRY: Das wäre eine lohnende Aufgabe. Ein Lebenswerk.
      ANNE: Ich meine es im Ernst.
    HENRY: Hier, Anne, trinken wir auf deine Idee.
    ANNE: Wieso meine Idee?
    HENRY: Dieser Abend war deine Idee, oder? Du hattest doch
    vorgeschlagen, Unbekannte einzuladen.
      ANNE: Du beginnst sehr früh, mir die Verantwortung zuzuschieben.
      HENRY: Du hast den Vorschlag gemacht... Erinnere dich... Jeder sollte Leute einladen, die der andere nicht kennt... Stimmt's?
      ANNE: Nein, Henry, es war unsere Idee... am Hochzeitstag.
      HENRY: An unserm achten Hochzeitstag, ich weiß...
      ANNE: Du sagtest: jeder ist ein Eisberg.
      HENRY: Ich sagte, was zu sehen ist, ist nicht alles... Jeder reicht in eine private Dunkelheit.
      ANNE: Du hattest gerade Colins übersetzt - diesen modernen Schotten... Sind wir nicht überhaupt von ihm ausgegangen? Es war eine schwierige Übersetzung -»Die privaten Friedhöfe«.
      HENRY: Ich weiß, Anne... Zuerst war es ein Übersetzungsproblem... aber dann hast du den Vorschlag gemacht.
      ANNE: Gefragt, Henry... Ich habe zuerst nur gefragt, ob das zutrifft... Ob jeder seine - seine sechs unsichtbaren Siebtel hat wie der Eisberg... Ist es nicht so?
      HENRY: Du wolltest es darauf ankommen lassen.
      ANNE: Auch bei uns, ja... An unserm achten Hochzeitstag.
      HENRY: Und dann, Anne, dann hattest du die Idee, Un
    bekannte einzuladen.
      ANNE: Das stimmt nicht... Es stimmt nicht ganz... Wir haben ein Abkommen geschlossen.
      HENRY: Spater... Das Abkommen haben wir erst später geschlossen... Zuerst war die Idee, jemanden einzuladen, den der andere nicht kennt, Leute, die man nie voreinander erwähnt hat, die aber dennoch eine Bedeutung hatten... entscheidende Bedeutung.
    ANNE: Oh, Henry, wollen wir nicht erst trinken?
    HENRY: Diese Idee ist von mir.
    ANNE: Machst du dir Sorgen?
      HENRY: Warum? Wir haben ein Abkommen geschlossen: wenn die Gäste fort sind, wird sich nichts geändert haben... Das genügt

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