Eis
sind als er, lernen kann. Und so beobachteten die Menschen von ihren Türmen den Vogelflug und lasen daran ab, was werden würde. Und auch ich, siehst du, beobachte hier seit Tagen, was geschieht. Und darum sag ich: Die Bura wird sich nicht legen.“
Sie gingen ein paar Schritte, blieben stehn, und der kleinere schaute seinem Freund ins Gesicht. „Auch wir haben als Kinder“, sagte der, „von unseren Eltern gehört, daß es Regen gibt, wenn die Schwalben niedriger fliegen. Danach errieten wir, wie das Wetter am nächsten Tag werden würde.“
„Und – was sagen die Schwalben dir jetzt?“
„Nichts. Nichts sagen sie. Es gibt keine. Seit sie vorigen Herbst fort sind, sind sie nicht wiedergekommen.“
„Es ist noch Zeit. Sie werden kommen, wenn es wärmer wird und die Bura sich legt.“
„Nein – ihre Brutzeit ist längst da. Sie bauen jetzt anderswo ihre Nester, zur Rückkehr hierher ist es zu spät. Und wer weiß, ob sie nächstes Jahr kommen werden. Auch sie spüren, daß der Wind sich nicht legen wird.“
Die zwei Rentner, zwei alte Freunde, die an diesem Sonntagvormittag ausgegangen waren, um die Gräber ihrer Verwandten, Freunde und Bekannten aufzusuchen, kehrten jetzt mit gesenkten Köpfen, unter sich schauend, in ihre Häuser zurück, bergab, der Stadt zu, und sie paßten auf, daß sie nicht in abgerissenen Ästen und in den großen dürren Palmblättern hängenblieben, die überall herumlagen und die niemand mehr einsammelte.
Mitte Juni konnte man das in der Presse als „Reportage aus Dubrovnik“ lesen. Im Wirtshaus „Zu den drei grünen Blättern“ saß man um den Tisch, der dem Ofen am nächsten stand, und statt Wein trank man heißen Branntwein. Der war billiger und wärmte besser. „Noch eine Runde“, bestellte einer der Gäste. „Wein gibt es dies Jahr sowieso keinen. Schaut nur“, sagte er und zeigte über den Tisch zum großen Fenster.
Alle schauten in die Richtung. Durch das große Fenster sah man einen Teil des Parks gegenüber –: Der Grund mit dickem Schnee bedeckt, Bäume und Telegrafenmasten im leichten winterlichen Nebeldunst erstarrt, von Draht zu Draht, von Zweig zu Zweig Reif spuren, wie Spinnweben, Kiefern und Büsche dösen schneegetränkt dahin, kahle Äste recken vergebens ihre langen Arme und mageren Hälse aus dem Schnee: er preßt sie, steif, vereist und unbeweglich ragen sie in den grauen Himmel.
„Da“, sagte der Mann, „das hab ich heut morgen unterwegs hierher abgebrochen.“ Er zog ein dünnes Zweiglein aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Feine Eiskristalle glitzerten immer noch daran. Alle beugten sich darüber und betrachteten es wie etwas Ungewöhnliches und Seltenes. „Eine Rebe – und auch hier keine Spur von Knospen“, sagte der Mann und drückte den Zweig leicht mit den Fingerspitzen, er knackte und zersplitterte, als war er aus Glas. „Und es wird auch keine geben. Weder Knospen noch Blätter. Sie sind erfroren bis ins Kambium.“
„Weder Blüten an den Bäumen noch Gras auf den Wiesen, noch Blumen im Garten. Und keine Schwalben unter den Dächern dieses Jahr.“
„Schwalben? Nicht einmal Störche – auch sie kommen bei dieser Kälte nicht.“
„Und auch keine Singvögel, auch ihnen ist es zu kalt. Nur den Dachsen, stell ich mir vor, ist es warm unter ihrem dicken, fetten Fell in ihren Bauten tief unter der Erde.“
„Ja“, sagte jemand, „nur ihnen – und denen, die sie nachzuahmen beginnen. In der Skopska-Gasse haben sie angefangen, einen Bunker zu graben.“
„Wo denn? Ich hab nichts gesehn.“
„Aber da, bei den Krekićs. Im Garten liegt ein Berg ausgehobener Erde.“
Mittag war vorbei, und man hätte nach Haus gehn sollen, aber sie hatten keine Lust zu gehen und suchten nach einem Weg, das Gespräch zu verlängern und hierzubleiben.
„Was wollen die mit einem Bunker neben einem so großen Haus?“
„Was weiß ich. Sie werden es besser wissen. Ich seh nur, daß Arbeiter schon den vierten Tag buddeln und einen ganzen Berg Erde ausgebuddelt haben.“
„Vielleicht ist ihnen die Wasserleitung geplatzt, und sie reparieren sie. Auch unsere ist geplatzt, schon vor fünf Tagen, aber wir können keinen Handwerker auftreiben. Wir haben kein Wasser, wir schmelzen uns Schnee, wie in alten Zeiten.“
„Wahrhaftig, die finden immer, was sie suchen. Meine Frau hat sie durchs Fenster beobachtet. Wir sind Nachbarn, und man kann gut sehn, was die im Haus machen. Sie heben im Keller was aus. Zuerst dachten wir, sie
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