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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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graben nach einem Schatz aus der Kriegszeit, aber dann wurden ihnen auf Schlitten irgendwelche Säcke geliefert. Mit Mehl, behauptete meine Frau; ich: mit Zement. Sie schaffen was in den Keller, sagte sie. Sie bauen was im Keller, sagte ich …“
    „Egal, dies oder das. Die wissen, sich zurechtzufinden. Kommt Hochwasser – sie aufs Floß und schwimmen obendrauf. Bläst ein Sturm, machen sie die Fensterläden dicht und haben ihre Ruh. Wenn ein Zug stehnbleibt, steigen sie in den andern um. Und wenn der Frost anzieht, graben sie sich als erste ein, wie die Wiesel.“
    Der Ofen erkaltete. Die übrigen, vom Ofen entfernteren Tische waren längst leer. Es nutzte alles nichts mehr – man mußte aufbrechen. Sie erhoben sich langsam, knöpften die Mäntel zu, klappten die Kragen hoch und rückten die Hüte zurecht. „Also dann auf Wiedersehn“, wünschten sie einer dem anderen. „Bis morgen. Damit wir uns wieder tüchtig aufwärmen.“ Beim Hinausgehn schnupperten sie wie Hunde und hoben die Hände, als wollten sie die Luft abtasten. Ist es nicht etwas wärmer geworden? fragten sie sich, denn von innen wärmte sie noch der Branntwein. Aber gleich fing es in den Nasenlöchern zu zwängen und zu zwicken an, und sie wußten alle, was das bedeutete, und eilten nach Hause.
    Sie hauchten sich unter den Kragen, um nicht die Wärme des eigenen Atems zu verlieren, und kamen in die Skopska-Gasse. Am Hause Krekić waren die Vorhänge zugezogen, und davor, im früheren Garten, erhob sich ein großer Haufen ausgehobener Erde.
    „Tatsächlich, sie graben sich ein“, sagte einer.
    „Sie heben einen Bunker aus. Wie in der Eiszeit!“ sagte ein anderer. Alle blieben im gleichen Augenblick stehn und schauten den an, der zuletzt gesprochen hatte. In Gedanken wiederholten sie seine Worte. Irgendwo weit entfernt, sehr weit – als habe dort jemand aufgeschrien. Und als sei er vor seinen eigenen Worten und vor seinen Freunden erschrocken, setzte der, der zuletzt gesprochen hatte, sich als erster in Bewegung; er drehte sich jäh um und eilte heimwärts, als fliehe er.

 
III
     
    Winter’s not gone yet.
    Shakespeare, „King Lear“
     
    In the bleak mid-winter
    Frosty wind made moan,
    Earth stood hard as iron,
    Water like a stone;
    Snow had fallen, snow on snow, snow on snow,
    In the bleak mid-winter long ago.
    Christina G. Rossetti, „Mid-Winter“
     
    Man wußte nicht, wer dieses Wort als erster ausgesprochen hatte. Es schien, als habe es seit jeher oder wenigstens seit langem unter den Menschen bestanden, als hätten alle von ihm gewußt, sich aber niemand getraut, es laut und öffentlich auszusprechen. Sie hielten sich zurück und zierten sich wie vor einem Freund oder Bekannten, der an einer schweren, unheilbaren, häßlichen und schandbaren Krankheit leidet, die man von seinem Gesicht bereits deutlich ablesen kann, die er im Spiegel selbst verfolgt und schmerzlich in den Eingeweiden verspürt, deren Namen aber keiner über die Lippen zu bringen wagt. Der eine, weil er sie für eine Schande hält, der zweite für ein Urteil ohne Widerruf und ohne Hoffnung, der dritte, weil er sich vor ihrer bösen Zauberkraft fürchtet. Es war, als werde sich die böse Vorbedeutung des Wortes tatsächlich erfüllen, sobald jemand es laut ausspricht.
    Es zog darum eine Zeitlang von Gedanke zu Gedanke, danach von Ohr zu Ohr, schließlich von Lippe zu Lippe, dann aber: als es zum erstenmal laut und öffentlich ausgesprochen wurde, von jedem Druck befreit, flog es hinaus wie aus einem Kanonenrohr, mit bösem Zischen und furchterregendem Gedonner. Es griff um sich wie das Gedröhn der großen Glocke, wie der erste Sirenenton bei Alarm, dem sich sämtliche Sirenen auf allen Seiten der Stadt und in allen Vorstädten anschließen, bis von ihrem gewaltigen Geheul die ganze Stadt widerhallt und alle Trommelfelle platzen.
    Und dennoch kann man nicht sagen, die Kunde von dem Wort sei überraschend aufgetreten – so sensationell das Wort für sich auch gewesen sein mag, fähig, Schnee aufzuwirbeln (wie die Journalisten das jetzt ausgedrückt hätten, denn Staub gab es keinen mehr). Schon seit langem hatte man von dem Wort das eine oder andere lesen können, in den Zeitungen, in wissenschaftlichen Artikeln und Abhandlungen, in den Wetterprognosen des Genossen Koljitzki, zwischen den Zeilen, gut und tief versteckt, aber sichtbar und verständlich für alle, die lesen konnten und die sehen wollten. Und so zeigte sich, als die Kunde auch von maßgebender Seite

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