Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisige Schatten

Eisige Schatten

Titel: Eisige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Hooper
Vom Netzwerk:
und kleine Läden, die sich zwar nicht Boutiquen nannten, aber genug für ihre schlichten kleinen Kleider verlangten, um als solche zu gelten. Es gab eine Hauptstraße mit einem begrünten Platz, genug Banken für die Frage, wo all die Reichtümer lagerten, und einen Drugstore, der so alt war, dass er noch eine Theke für alkoholfreie Getränke besaß.
    Natürlich gab es auch ein Computergeschäft auf der Hauptstraße, genau wie zwei Videoverleihs und einen Laden für Satellitenschüsseln, und nur zwei Meilen vom Stadtzentrum entfernt war ein hochmodernes Multiplexkino eröffnet worden.
    Also sah Ryan’s Bluff dem kommenden Millennium gelassen ins Auge.
    Größtenteils war es jedoch eine kleine Südstaatenstadt, daher waren die Menschen überwiegend konservativ eingestellt, der Kirchgang am Sonntag war die Norm, Alkohol konnte man nur in bestimmten Geschäften erhalten, und bis zum vergangenen Jahr war derselbe Sheriff jedes Mal wiedergewählt worden, seit 1970.
    1998 hatte sein Sohn den Posten übernommen.
    Daher war es im Großen und Ganzen eine vorhersehbare Stadt. Veränderung wurden so widerstrebend aufgenommen wie Sünder in den Himmel.
    Es gab wenige Überraschungen und noch weniger schockierende Ereignisse.
    Zumindest war es das, was Ben Ryan behauptet hätte. Woran er glaubte, nachdem er diesen Ort sein ganzes Leben kannte und eine generationenlange Familiengeschichte im Rücken hatte. Dieser Ort und seine Einwohner könnten ihn nie überraschen.
    Das war es, was er glaubte.
    »Richter? Da ist jemand, der zu Ihnen möchte.«
    Ben blickte stirnrunzelnd auf die Gegensprechanlage. »Wer ist es, Janice?«
    »Sagt, ihr Name sei Cassie Neill. Sie hat keinen Termin, fragt aber, ob Sie ein paar Minuten für Sie Zeit hätten. Sie sagt, es sei wichtig.«
    Bens sehr tüchtige Sekretärin ließ sich nicht leicht von Leuten ohne Termin überreden, daher war er erstaunt, einen beinahe bittenden Ton in Janice’ Stimme wahrzunehmen. Neugierig bat er: »Schicken Sie sie rein.«
    Er machte sich nach wie vor Notizen und schaute nicht sofort auf, als sich die Tür öffnete. Doch noch bevor Janice verkündete: »Miss Neill, Richter«, spürte er eine Veränderung im Raum. Als wäre Elektrizität freigesetzt worden, die seine Haut kribbeln ließ und ihm die feinen Körperhaare aufstellte. Er blickte hoch und erhob sich gleichzeitig, bemerkte Janice’ verstörten Blick, mit dem sie die Besucherin argwöhnisch musterte.
    Sie waren alle drei beunruhigt.
    Die Besucherin stand unter enormem Stress. Das bemerkte er als Erstes. Er war daran gewöhnt, Menschen einzuschätzen, und diese junge Frau schätzte er als jemanden ein, der eine viel zu schwere Bürde mit sich trug.
    Sie war mittelgroß, aber fast zehn Kilo zu leicht für ihre Größe, was man trotz ihres unförmigen Pullovers erkennen konnte. Sie hätte als hübsch gelten können, wenn ihr Gesicht nicht so dünn gewesen wäre. Ihr Kopf war ein wenig gebeugt, als gälte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Boden, und ihr schulterlanges, glattes dunkles Haar schwang nach vorn, wie um ihr Gesicht zu beschützen, wobei die Augen fast unter den langen Ponyfransen verborgen waren.
    Dann blickte sie ihn durch diese Fransen an, ein schneller, überraschter Blick, der vorsichtig nach oben schoss, und er hielt den Atem an. Ihre Augen waren erstaunlich – groß, mit dunklen Wimpern und von einem so blassen Grau, dass sie hypnotisch wirkten. Und gequält.
    Ben hatte schon früher Qual gesehen, doch was er in den Augen dieser Frau erblickte, war für ihn eine völlig neue Erfahrung.
    Unwillkürlich ging er um seinen Schreibtisch herum auf sie zu. »Miss Neill. Ich bin Ben Ryan.« Seine Stimme klang weicher als sonst, so sehr, dass die ungewohnte Sanftheit ihn verblüffte.
    Noch etwas anderes verblüffte ihn. Ben war ein Südstaatenanwalt, ein ehemaliger Richter, und seit Jahren in Lokal- und Bundespolitik engagiert. Fremden die Hand zu schütteln war für ihn so natürlich wie das Atmen, und die Hand beim Vorstellen auszustrecken geschah ganz automatisch. Doch irgendwie gelang es dieser Frau nicht nur, dem Händedruck auszuweichen, sie tat das auch mit einem so perfekten, eingeübten Timing, dass die Vermeidung körperlichen Kontakts kaum auffiel und keine Peinlichkeit entstand. Seine Hand blieb nicht in der Luft hängen, und er empfand keine Kränkung.
    Sie umging die Geste einfach, steuerte direkt auf den Besucherstuhl zu und schaute sich beiläufig in seinem Büro um. »Richter Ryan.« Ihre

Weitere Kostenlose Bücher