Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
Gegner zustürmten. Dieser Yan Tu allerdings hätte durchaus einen guten Offizier abgegeben – auch nach quandalischen Maßstäben. Das hatte Huan schmerzhaft am eigenen Leibe erfahren müssen. Knallhart nutzte er die Arroganz der Menschen aus und ließ sie ins offene Messer laufen, ohne mit der Wimper zu zucken. Viele Soldaten hatten diesen eklatanten Fehler ihrer Offiziere mit dem Leben bezahlen müssen. Viel zu viele. Huan stieg die Zornesröte ins Gesicht. Auch er gehörte zu diesen Offizieren. Und damit trug er mit an dieser Schuld. Wie Mühlsteine lastete das Wissen auf seinen Schultern und drückte ihn fast zu Boden. Verzweifelt suchte er nach Möglichkeiten, zumindest einen Teil dieser Schuld loszuwerden. Doch dazu musste er sich den Grünhäuten noch einmal stellen. Und siegen. Mit geballten Fäusten wandte er sich wieder der Besprechung mit den Offizieren zu.
„Dann gehst du also mit fünf Mann in die Stadt und erkundest vorsichtig die Lage dort.“, fasste gerade Oberfeldwebel Wong den Plan zusammen, ein altgedienter Veteran, der viel Erfahrung aus zahlreichen Schlachten mitbrachte. Kein Wohnzimmerstratege. Die Kämpfe hatten sichtbare Spuren bei ihm hinterlassen. Insbesondere die gezackte Narbe, die vom linken Mundwinkel hoch zu seinem Ohr führte, sprang dem Betrachter sofort ins Auge und verlieh dem Soldaten einen permanent grimmigen Gesichtsausdruck. Huan nickte. „Genau. Wir schauen uns die Situation vor Ort an und entscheiden dann, was wir weiter tun können und sollen. Der Rest der Truppe bereitet sich hier auf den bevorstehenden Kampf vor und hofft, dass bald weitere Verstärkung eintrifft. Denn sonst hilft uns auch der beste Plan nichts.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Die Offiziere standen auf, erboten ihrem Befehlshaber einen militärischen Gruß und gingen dann zügig an die Arbeit, die ihnen zugedacht war. Huan ging langsam zu Ranja herüber, der noch mit seinem Frühstück beschäftigt war. „Kommst du mit uns in die Stadt?“, fragte er den Beschwörer fast beiläufig. Aber die Art, wie er fragte, machte deutlich, dass es sich mehr um eine Bitte denn um eine Frage handelte. Ranja fühlte sich bei dem Gedanken nicht sonderlich wohl. Sein letzter und bislang einziger Besuch in Mirana hätte fast in einem echten Desaster geendet. Und diese Erfahrung saß tief. Dennoch wollte er seinen Freund nicht hängen lassen, auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, was er zu dieser Mission wohl Wichtiges beisteuern könnte.
Knapp zwei Stunden später passierten sie die Wachen am Stadttor. Angesichts der drohenden Gefahr gaben diese sich äußerst gelassen, wirkten fast schon unbekümmert. Hatten sie wirklich keine Ahnung von dem, was da auf sie zukam? Huan, Ranja und die vier Soldaten bei ihnen schwärmten sofort aus und schauten sich mit fachkundigen Blicken in der Stadt um. Hier herrschte ein reger Betrieb, so dass sie in ihrer Zivilkleidung nicht weiter auffielen. Immer wieder blieb der Leutnant stehen und schüttelte erstaunt mit dem Kopf. Nichts, aber auch rein gar nichts deutete darauf hin, dass sich hier irgendjemand auf eine Schlacht vorbereitete. Die Verteidigungsanlagen, vor allem die Tore hätten dringend verstärkt werden müssen. Um die Stadt herum fehlte es an Gräben und anderen Hindernissen, die die grüne Flut zumindest ein wenig aufhalten würden, so dass die Bogenschützen die eine oder andere Salve mehr auf sie abfeuern konnten. Auch zeigten die Soldaten des Statthalters kaum Präsenz.
Am Schlimmsten empfand Huan aber die Unbekümmertheit, mit der die Bevölkerung durch die Straßen spazierte. Keiner schien etwas zu ahnen. Alle waren bei bester Laune; lachten, scherzten. Was war hier nur los? Hatten die Mönche nicht wenigstens ein bisschen Information verbreiten können? Nun fiel Huan auf, dass viele der Menschen auf den Straßen in die gleiche Richtung liefen: direkt ins Zentrum von Mirana. Neugierig ließen sich Huan und Ranja in der Menschenmenge mittreiben. Wenig später erreichten sie den Marktplatz. Eine große Zahl an Bürgern hatte sich hier bereits versammelt. In der Mitte des Marktplatzes stand ein bühnenartiges hölzernes Podest. Einige Soldaten der Palastgarde bezogen an allen Seiten des Podests Position, bereit den Mann zu schützen, der da ganz alleine oben auf der Bühne stand: Statthalter Jom Kil. Ranja kam die Galle hoch. Am liebsten hätte er einen Steinregen beschworen und auf den Kerl dort niederprasseln lassen. Aber das wäre nicht
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