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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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Von den beiden Eingängen des Cafés nahm sie immer den schmalen, der Schattentür genannt wurde. Sie setzte sich an denselben Tisch, hinten in dem kleinen Raum. In der ersten Zeit sprach sie mit keinem, dann knüpfte sie Bekanntschaft mit den Stammgästen des Condé, von denen die meisten in unserem Alter waren, ich würde sagen, so zwischen neunzehn und fünfundzwanzig. Manchmal setzte sie sich zu ihnen an den Tisch, meistens jedoch war sie ihrem Platz treu, ganz hinten.
    Sie kam niemals zu einer bestimmten Zeit. Man konnte sie früh am Morgen hier antreffen. Oder sie tauchte gegen Mitternacht auf und blieb bis zur Sperrstunde. Es war das Café, das, neben dem Bouquet und der Pergola, in diesem Viertel am spätesten zumachte und dessen Gäste am merkwürdigsten waren. Ich frage mich nach all den Jahren, ob dieser Ort und diese Leute nicht erst durch ihre Anwesenheit so merkwürdig wurden, als hätte sie alle durchdrungen mit ihrem Duft.
    Angenommen, man hätte Sie mit verbundenen Augen an diesen Ort gebracht, man hätte Sie an einen Tisch gesetzt, die Binde abgenommen und Ihnen ein paar Minuten Zeit gelassen, damit Sie die Frage beantworten: In welchem Viertel von Paris sind Sie? Es hätte genügt, dass Sie Ihre Tischnachbarn beobachten und deren Gesprächen lauschen, und vielleicht hätten Sie’s erraten: Im Umkreis des Carrefour de l’Odéon, und ich glaube, er ist immer noch gleich trostlos im Regen.
    Ein Fotograf war eines Tages ins Condé gekommen. Nichts in seinem Äußeren unterschied ihn von den Gästen. Gleiches Alter, gleiche saloppe Kleidung. Er trug ein zu langes Jackett, eine Leinenhose und derbe Militärstiefel. Er hatte viele Aufnahmen gemacht von den Menschen, die im Condé verkehrten. Er war selber Stammgast geworden, und für die anderen war es, als knipse er Familienfotos. Viel später dann sind sie in einem Band über Paris erschienen, und als Bildunterschrift hatten sie einzig und allein die Vornamen der Gäste oder ihre Spitznamen. Und sie ist auf mehreren dieser Fotos zu sehen. Sie schien das Licht stärker einzufangen, wie man im Filmgeschäft sagt. Von all den Leuten nimmt man sie als erste wahr. Am Fuß der Seiten, in den Bildunterschriften, erscheint sie mit dem Vornamen »Louki«. »Von links nach rechts: Zacharias, Louki, Tarzan, Jean-Michel, Fred und Ali Cherif …« – »Im Vordergrund, am Tresen: Louki. Dahinter Annet, Don Carlos, Mireille, Adamov und Doktor Vala.« Sie sitzt sehr gerade da, während die anderen sich lässig geben, der erwähnte Fred zum Beispiel ist eingeschlafen, sein Kopf lehnt an der Moleskinbank, und ganz offensichtlich hat er sich schon tagelang nicht mehr rasiert. Etwas muss noch gesagt werden: Den Vornamen Louki erhielt sie ab dem Zeitpunkt, da sie regelmäßig im Condé auftauchte. Ich war zugegen, eines Abends, als sie gegen Mitternacht hereintrat und nur noch Tarzan, Fred, Zacharias und Mireille dasaßen, alle am selben Tisch. Tarzan hat gerufen: »Ah, da kommt Louki …« Im ersten Augenblick wirkte sie erschrocken, dann hat sie gelächelt. Zacharias ist aufgestanden, und im Tonfall gespielter Feierlichkeit: »Heute nacht taufe ich dich. Fortan sollst du Louki heißen.« Und als die Zeit verging und jeder sie Louki nannte, fühlte sie sich, wie mir schien, erleichtert, diesen neuen Vornamen zu tragen. Ja, erleichtert. Denn je länger ich darüber nachgrüble, desto mehr bestätigt sich mein anfänglicher Eindruck: Sie suchte Zuflucht, hier, im Condé, als wollte sie vor etwas fliehen, einer Gefahr entrinnen. Dieser Gedanke war mir gekommen, als ich sie allein gesehen hatte, ganz hinten, an diesem Ort, wo niemand sie bemerken konnte. Und auch wenn sie sich unter die anderen mischte, zog sie die Aufmerksamkeit nicht an. Sie war still und zurückhaltend und begnügte sich mit Zuhören. Und ich hatte mir sogar gesagt, um sich noch sicherer zu fühlen, waren ihr die lärmenden Gruppen lieber, die »Großmäuler«, sonst hätte sie nicht immer am Tisch von Zacharias gesessen, von Jean-Michel, Fred, Tarzan und La Houpa … In dieser Gesellschaft konnte sie mit der Einrichtung verschmelzen, sie war nur mehr eine anonyme Statistin, eine von jenen, die in Bildunterschriften »unbekannt« oder noch einfacher »X« heißen. Ja, während der ersten Zeit im Condé habe ich sie nie mit irgendwem in persönlichem Gespräch gesehen. Und im Grunde genommen machte es nichts aus, dass eines der Großmäuler sie lauthals Louki rief, es war ja nicht ihr richtiger Name.
    Und

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