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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Kapitel I
    Die Häuser ragten dunkel in die Augustnacht, und der Anblick der Beacon Street mit ihrer Doppelreihe Straßenlaternen glich einer perspektivisch verkürzten Wüste. Nur von der halbrunden Fassade des Clubhauses auf dem Hügel fiel ein Lichtschimmer auf die dunkle Unbestimmtheit des Stadtparks, und als ich vorüberging, hörte ich das Klicken zweier Billardkugeln in der heißen Stille. Da alle Welt verreist war, entweihten womöglich die Diener, die nun über verschwenderisch viel freie Zeit verfügten, die Spieltische. Die Hitze war unerträglich, und ich dachte freudig an den nächsten Tag, an das Deck des Dampfschiffs, die belebende Brise, das Gefühl, in See zu stechen. Mir gefiel sogar, was ich am Nachmittag im Büro der Schifffahrtsgesellschaft erfahren hatte – dass der Dampfer, auf dem ich meine Überfahrt gebucht hatte, in letzter Minute durch einen anderen einer geringeren Geschwindigkeitsklasse ersetzt worden war. Amerika glühte, in England war es wohl nicht weniger schwül, und eine langsame Passage (die in dieser Jahreszeit eine schöne zu werden versprach) garantierte zehn bis zwölf Tage frische Luft.
    Ich schlenderte den Hügel hinab, ohne einer Menschenseele zu begegnen, obwohl ich durch den Zaun des Stadtparks erkennen konnte, dass dieses Erholungsgebiet von schattenhaften Gestalten bevölkert war. Mir fiel Mrs. Nettlepoints Haus ein – in jenen Tagen (sie liegen nicht weit zurück, doch gab es Veränderungen) wohnte sie an der Küste, ein Stück weit hinter dem öffentlichen Park, und es kam mir in den Sinn, dass sie wie ich die Nacht in Boston verbringen würde, sollte sie wirklich, wie man mir einige Tage zuvor auf Mount Desert erzählt hatte, morgen nach Liverpool abreisen. Kurz darauf wurde diese Vermutung durch Licht über ihrer Tür und hinter zwei oder drei ihrer Fenster bestätigt, und ich beschloss, mich nach ihr zu erkundigen, bis zum Schlafengehen hatte ich nichts weiter zu tun. Ich war nur hinausgegangen, um etwas Zeit totzuschlagen, und hatte mein Hotel dem Gaslicht und den schwitzenden Portiers überlassen, doch nun hielt ich es für wahrscheinlich , dass meine alte Freundin nichts von der Ablösung der Scandinavia durch die Patagonia wusste, so dass ich ihr dienlich sein könnte, indem ich sie davon unterrichtete. Außerdem konnte ich ihr anbieten, am nächsten Morgen auf sie achtzugeben: Alleinreisende Frauen sind dankbar, wenn man ihnen beim Aufbruch in ferne Länder zur Seite steht.
    Tatsächlich fiel mir erst an ihrer Türschwelle ein, dass sie vielleicht gar nicht so allein sein würde, da sie einen Sohn hatte. Doch erinnerte ich mich gleichzeitig daran,dass Jasper Nettlepoint nicht unbedingt ein junger Mann war, auf den man sich verlassen konnte, denn er führte – dies war zumindest meine Vermutung – sein eigenes Leben und hegte eigene Vorlieben und Gewohnheiten, die ihn schon vor langer Zeit von der Seite der Mutter hatten weichen lassen. Wenn er zufällig gerade zu Hause war, würde meine Besorgtheit natürlich übertrieben erscheinen, denn auf seinen zahlreichen Streifzügen – ich glaubte, er hatte die ganze Welt bereist – hatte er sicher gelernt, wie man die Dinge regelt. Letztlich war ich aber froh, Mrs. Nettlepoint zu bedeuten, dass ich an sie dachte. Während meiner langen Abwesenheit hatte ich sie aus den Augen verloren, doch war ihr, einer guten Freundin meiner Schwestern, seit jeher ein Platz in meinem Herzen sicher. Ihr gegenüber hegte ich stets jenes Gefühl, das solche erfreut, die auf Abwege geraten sind oder sich abgesondert haben – das Gefühl, dass zumindest sie alles über mich wusste. Ich konnte jederzeit darauf zählen, dass sie den Leuten versicherte, ich sei ehrbar. Womöglich war mir bewusst, wie wenig ich diese Nachsicht verdiente, als mir in den Sinn kam, dass ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Jene Nachlässigkeit ließ sich daran ermessen, wie unbestimmt meine Meinung über Jasper war. Allerdings gehörte ich mittlerweile auch wirklich einer anderen Generation an, die Mutter war eher in meinem Alter als ihr Sohn.
    Mrs. Nettlepoint war zu Hause: Ich traf sie in ihremhinteren Salon an, wo die großen Fenster sich zum Wasser hin öffneten. In dem Zimmer war es dämmrig – für Lampen war es zu heiß –, und sie saß da, bewegte langsam ihren Fächer und sah hinaus auf den kleinen Meeresarm, der nachts besonders schön ist, wenn sich die Lichter von Cambridgeport und Charlestown darin spiegeln. Ich nahm an, sie

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