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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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der Flucht vor sich selbst. Vor ein paar Monaten waren sie unter großem Tamtam zusammen ins Dachgeschoss der offenbar sehr freizügigen Eltern von Moritz gezogen. Mit unendlich vielen Andeutungen und albernem Gekicher hatte Sarah uns alle täglich mit der Nase darauf gestoßen, wie herrlich diese neue Zweisamkeit war und wie erwachsen, und wie bemitleidenswert wir anderen waren, die wir noch bei unseren Eltern in unseren Kleinmädchenzimmern hockten. Mittlerweile war der Reiz des Neuen wohl verpufft, denn Sarah beschwerte sich dauernd, dass das Zimmervon Moritz ein Saustall war und sie diejenige, die dann wieder alles aufräumen musste. Wie ein altes Ehepaar, dachte ich, als wir auf sie zuliefen und ihre leicht verkniffenen Gesichter sahen. Offenbar hatte es gerade wieder gekracht. Ich drückte Leanders Hand ganz fest. Nie würden wir so enden, das schwor ich mir.
    »Gregor hat sich gerade so was von zum Horst gemacht«, begrüßte uns Hendrik, der Drummer aus Leanders Band.
    »Ja, danke. Erzähl es gleich allen weiter«, knurrte Gregor verdrießlich. Er hockte rauchend auf einer der großen Holzscheiben, die eigentlich zum Klettern für Kinder gedacht waren, und kassierte dafür böse Blicke von zwei Müttern mit Kinderwagen.
    »Ja natürlich, das muss die Welt doch wissen. Als abschreckendes Beispiel – wie man jemanden nicht anquatschen sollte!« Hendrik kicherte.
    »Was?«, fragte ich verständnislos. »Wen hat er angequatscht?«
    »Nessa.« Hendrik rollte bedeutungsvoll mit den Augen.
    »Ist gut jetzt, okay?«, schnappte Gregor und quetschte seine Kippe auf der runden Baumscheibe aus.
    »Also, hallo! Geht's noch?«, rief eine der Mütter und schüttelte den Kopf.
    Nessa. Da brauchte man gar nicht mehr zu sagen, denn jeder wusste Bescheid. Vanessa Klinger, die von allen »Nessa« genannt wurde, als wäre sie irgendeinPlanet oder so. Ein Planet, um den Dutzende von lechzenden männlichen Monden kreiselten und ihre Bahnen zogen. Die Mädchen waren hauptsächlich neidisch auf sie, was sie aber nicht davon abhielt, ständig ihre Nähe zu suchen, um ein bisschen von dem Glamour abzubekommen. Vater berühmter Herzchirurg, Mutter Ärztin für kosmetische Chirurgie, ein Prachthaus im Villenviertel, ein Ferienhaus an der Nordsee, perfekte Figur, samtbraune Augen und glänzende lange Haare, Schmollmündchen, nie ein lästiger Pickel, nie ein störendes Stäubchen, mit fünfzehn die Clara im Nussknacker-Ballett getanzt, mit sechzehn den Talentewettbewerb der Stadt als Violinistin gewonnen. Ach, und natürlich keinerlei Probleme mit Integralrechnung oder Chemie wie die restlichen Sterblichen von uns, weswegen sie kürzlich auf Facebook geklagt hatte, dass sie sich gar nicht entscheiden könne, an welcher Elite-Uni sie denn nun Medizin studieren solle.
    »Er hat sie vorhin gefragt, ob sie mit ihm dieses Jahr nach Wacken will«, fuhr Hendrik gnadenlos fort. »Zu den Metalfreaks.« Er klatschte sich jetzt begeistert auf die Schenkel. »Da könnte die schöne Nessa ihm ihre Haare ins Gesicht schlenkern und sein gemütliches Zelt mit ihm teilen!«
    Sarah wieherte los und auch ich musste gegen meinen Willen lächeln, obwohl Gregor mir ein bisschen leidtat. Aber Vanessa in Wacken im Schlamm auf der Weide mit einer Flasche Aldibier in der Hand …
    »Hätte doch sein können«, wehrte sich Gregor. »So abwegig ist das ja nicht. Dieses Jahr spielen total gute Bands. Das Ding ist fast ausverkauft!«
    »Was hat sie denn gesagt?«, erkundigte sich Leander. Das interessierte mich auch, trotz Gregors gequältem Gesichtsausdruck.
    »Dass sie an dem Wochenende leider nicht kann, weil da ihre Geschlechtsumwandlungs-OP stattfindet.« Hendrik prustete los. Ich fand das ziemlich heftig, Gregor war doch kein schlechter Kerl. Aber Leander lachte laut auf.
    »Ja, ja, sehr witzig«, knurrte Gregor. »Können wir jetzt mal das Thema wechseln? Und abgesehen davon weiß die Tussi nicht, was sie verpasst. Metal rules, baby!« Er spuckte in den Sand, verfolgt von den argwöhnischen Blicken der beiden Mamis am anderen Ende des Spielplatzes.
    »Genau«, stimmte ich Gregor zu. Wacken war immer noch cooler als Sylt oder wo immer Vanessa sich aufhalten würde. Die Sonne brannte jetzt regelrecht, ich zog meine Jacke aus und legte sie auf die Bank. Am liebsten hätte ich mich komplett ausgezogen und in die Sonne gelegt.
    »Was hast du denn da?« Sarah richtete ihre Aufmerksamkeit jetzt auf das T-Shirt von Moritz. »Ist das Kaffee?«
    »Was?«, Moritz

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