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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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zusammenbrechen.
    Der Wolfsmann schlurfte in die hinterste Ecke des Gewölbes. Da stand noch eine Matratze an der Wand. Davor lagen ein paar ordentlich zusammengelegte Wolldecken, eine Schachtel mit Keksen und zwei bunte alte Seile, so wie man sie zum Klettern verwendet.
    Der Wolfsmann nahm die Taue, schlurfte zurück zu Yannick und Angel.
    »Rutscht mal an die Säule ran.«
    Er legte die Pistole zur Seite, und sie ließen sich von ihm an die steinerne Säule fesseln. Yannick hatte kurz daran gedacht, ihn zu treten, ihn zu überwältigen, es ihm so richtig zu geben. Aber er konnte nicht. Der Wolfsmann war jetzt der Stärkere.
    Angel dachte nicht eine Sekunde darüber nach, abzuhauen. Wohin denn auch. Sie sah dem Wolfsmann in die Augen, als er sie fesselte. Es waren dunkelbraune Augen mit winzigen Spritzern in Gold, die Augen wirkten tief und warm. So einer fesselt normalerweise nicht.
    »Warum?«, fragte sie.
    Er trat einen Schritt zurück, nahm seine Pistole vom Boden auf und steckte sie in seine Manteltasche.
    »Ihr wart böse.«
    »Das stimmt«, sagte Angel.
    Yannick sagte: »Schwachsinn.«
    Langsam, ganz langsam fand er seine Stimme wieder. Auch wenn er gefesselt war, spürte er, dass das hier eventuell nicht so schlimm werden würde, wie er gedacht hatte.
    »Erinnert ihr euch an den Mann, den ihr vor drei Tagen halb totgeprügelt habt?«
    Yannick wusste nicht genau, welchen Mann er meinte. Angel begriff sofort, von wem der Wolfsmann sprach. Sie erinnerte sich an seine Füße. Die waren so hart und dick gewesen wie bei keinem anderen.
    »Er war mein Freund«, sagte der Wolfsmann.
    Er knöpfte seinen Mantel zu.
    »Und jetzt ist er tot.«
    Dann ging er um die Säule herum und zog die Fesseln stramm. Yannick und Angel konnten sich keinen Millimeter mehr bewegen, und der Stein drückte gegen ihre Wirbelsäulen. Es war egal. Sie waren erstarrt. Dass einer der Obdachlosen sterben könnte, war nicht eingeplant gewesen.
    Der Wolfsmann ging zurück zur Eisentür, drehte am Lichtschalter, das Licht erlosch, sie hörten, wie er noch mal an ihnen vorbeischlurfte, und dann war er weg.
    Angel starrte in die Dunkelheit. Die Kälte kam zurück.
    Der Junge, der mal Snake Plissken war, fing an zu weinen.

    Der Wolfsmann stieg die paar Treppen zur Schachtel hinauf. Die Schachtel war niedrig, man konnte kaum stehen in der Schachtel, aber ihr Vorteil war, dass sie ein bisschen wärmer war. Die Schachtel lag genau zwischen dem Keller und der Straße. Im Keller war nichts, in der Schachtel konnte man das Leben da draußen schon wieder ahnen. Die Scheiße da draußen. Aber zum Aufwärmen war sie gut. Von der Schachtel ging eine weitere Treppe ab, die führte nach oben. Am Ende der Treppe schob der Wolfsmann eine Stahlplatte zur Seite. Dann eine dicke Holzplatte. Er griff zwischen die schweren Mäntel und Anzüge aus den sechziger Jahren, die an der Kleiderstange hingen, schob sie auseinander, schloss die Schranktür von innen auf und stand in einem alten Laden. Niemand brauchte den Laden mehr. Irgendwer hatte hier ein paar alte Sofas abgestellt. Manchmal, wenn es ihm im Keller zu kalt war, schlief der Wolfsmann hier oben. Aber nicht so gern. Die Schlüssel zu dem Laden hatte ihm mal einer geschenkt. So hatte er alles gefunden. Den Kleiderschrank. Die Schachtel. Den Keller.
    Er schloss die Ladentür auf, hob das Gitter ein bisschen aus den Angeln und schob sich hindurch. Hinter sich machte er alles wieder gut zu. Niemand wusste, was hinter diesen schäbigen Ladenfenstern für ein Schatz lag, und das sollte auch so bleiben.
    Er zog seine Fellmütze tiefer in die Stirn. Mit jeder Nacht wurde es kälter. Affenwinter. Er sah in den Hamburger Himmel. Ohne dass er es bemerkte, lief ihm eine Träne über die Wange. Da oben war in dieser Nacht kein Stern zu sehen, kein Mond. Nur Schnee, der aus den schwarzgrauen Wolken fiel.
    Er hatte keine Ahnung, was er jetzt mit den beiden machen sollte.

    Irgendwann waren ihnen die Augen zugefallen. Die Schultern und Köpfe aneinandergelehnt, beruhigt vom Atmen des anderen, waren Yannick und Angel eingeschlafen. So wie Kinder eben einschlafen, wenn die Batterien leer sind. Sie waren auch nicht aufgewacht, als der Wolfsmann zurückgekommen war, mit einer Thermoskanne Tee in der Manteltasche. Er hatte die beiden schlafen lassen, ihre Fesseln gelockert und ihnen eine Decke über die Beine und Füße gelegt. Dann war auch er schlafen gegangen, auf seiner Matratze in der Ecke. Es war ihm schwergefallen, das

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