Eisprinzessin
nicht davon abhalten, seinen eigenen Keller zu betreten. Es musste noch mehr hier sein, sonst hätte er ihm doch den Schlüssel zurückgegeben.
Er fing oben mit der Suche an und kippte nacheinander den Inhalt der Kisten auf den Boden, eine Schicht über die andere. Werkzeug, Fahrradteile, aussortiertes Besteck, Serviettenringe, Reste der Tischdekoration ihrer Hochzeit, Gebrauchsanweisungen von Geräten, Zeugen von Charlottes übertriebener Aufbewahrungs- und Ordnungssucht. Alles flog, krachte, flatterte und klirrte zu Boden, alles auf einen Haufen, der sich unter der Trittleiter immer höher türmte.
Er sah auf diesen nutzlosen Scheiterhaufen hinunter. Anzünden müsste man den ganzen Plunder, brennen sollte er und mit ihm ihr ganzes wohlsortiertes Leben, unter das Charlotte jetzt einen Strich gezogen hatte. Wo waren die Briefe und diese Fotos? Hatte der Bulle alles mitgenommen? Hat er etwas übersehen? Er kannte sich hier aus, der Bulle war nur ein Schnüffler.
Aber er fand nichts mehr, und der Haufen wurde immer größer. Er räumte die andere Regalseite auch noch ab, riss die gelochte Werkzeugwand herunter, weil er dahinter ein Versteck vermutete. Als er sein Werk betrachtete, war er erleichtert. Jetzt war diese Ordnung auch noch zerstört. Doch nur ein paar Minuten später deprimierte ihn das Chaos, das er angerichtet hatte, schon wieder, und die Angst und die Ungewissheit kamen mit voller Wucht zurück. Er suchte nach einem Feuerzeug oder einer Packung Streichhölzer und fand sie in einer Werkzeugschublade.
Er strich das lange Kaminstreichholz über die Reibefläche, zweimal, dreimal, viermal. Als es Feuer fing, hielt er es an einen Packen Anleitungen für die Küchenmaschine mit reichhaltigem Zubehör und steckte ihn an. Mit der Schuhspitze lockerte er den Papierpacken, der zuerst nur schlecht Feuer fing, starrte kurz in die endlich auflodernde Flamme, sprang dann durch die aufgesägte Tür hinaus und rannte davon.
Im roten Golf seiner Frau kurvte er durch die Stadt, die Ringstraße entlang, bis er die roten Ampeln, die ihn immer wieder zum Halten zwangen, nicht mehr ertragen konnte. Er kümmerte sich nicht mehr um Fußgängerüberwege und einbiegende Nebenstraßen. Vor dem Theater sah er Menschen sich auf einen Grünstreifen in Sicherheit bringen und wild gestikulieren, aber er verstand nicht, warum sie das taten. Seine Hände und Füße steuerten den Wagen. Sein Kopf war nicht zu gebrauchen. Sein Körper gehörte zu ihm, aber er hatte keine Macht mehr über ihn. Das waren bestimmt die Tabletten. Sie beruhigten nicht mehr, sondern putschten ihn auf. Er hielt den Wagen mittig auf der rechten Spur und sah nicht mehr hin, wenn wieder eine Ampel von Grün auf Rot schaltete.
Schließlich stellte er den Wagen in der Innenstadt ab und ging zu Fuß weiter. Zog durch die Kneipen, tauchte in der Donaustraße im »Mohrenkopf« auf, wo niemand war, den er kannte. In der »Bar Centrale« nebenan standen wie immer dreimal so viele Leute draußen im Freien als drinnen Platz hatten. Er traf ein paar Schulfreunde von früher und fragte sie, ob sie Charlotte gesehen hätten. Sie machten sich lustig über ihn, zogen ihn auf. »Sei doch froh, wenn deine Alte nicht da ist, dann machen wir einen drauf. Im ›After Dark‹ ist heute Killer Friday, den ganzen Abend Cocktails zum halben Preis. Die besten in der ganzen Stadt. Jetzt geh halt mit, deine Alte kommt schon wieder. Bis du am Samstag deinen Rausch ausg’schlafen hast, is die bestimmt a wieder da. Wirst scho sehen.«
»Und jetzt trink an Schluck Bier, Mo. Des werd scho wieda!«, sagte einer, an dessen Namen Eberl sich nicht erinnern konnte. Er wusste, er sollte besser nicht trinken, weil er die Tabletten genommen hatte, aber der Dicke, dem der Rand seiner karierten Boxershorts über die Jeans rausschaute, hielt ihm das Bierglas an den Mund. Mit der Nase berührte er schon den festen weißen Schaum. Er setzte das Glas an und trank es unter Gejohle leer. Sie hofften, das Bier würde ihn ein bisschen entspannen. Doch das zweite Bier, das ihm ein anderer anbot, schlug er aus. Dann bahnte er sich einen Weg aus der Menge und machte sich Richtung Altstadt davon.
Sie lachten über ihn. Sie kannten seine Frau kaum. Einige wussten, dass es die Helmer-Tochter war, eine Frau mit Geld, die auf einem Internat in Regensburg gewesen war. Und jetzt war sie ihm weggelaufen. Hammer! Das mussten sie Nicole erzählen. Sie war früher mal eine Freundin der Helmer gewesen.
Eberl zog weiter
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