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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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»Den kenn ich nicht. Nie gesehen.«
    »Es gibt auch Briefe«, sagte Brunner. »Von ihm. Ich würde sie als Liebesbriefe bezeichnen.«
    Eberl wurde blass. Er spürte Unglück auf sich zurollen.
    »Raus jetzt!«, brüllte er. »Sie hauen jetzt ab, sofort. Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren. Das ist illegal, was Sie hier machen. Verschwinden Sie, los, sofort!« Er riss die Wohnungstür auf. »Raus jetzt!« Seine Stimme überschlug sich und hallte wie ein Echo aus dem Treppenhaus zurück.
    »Ich lass Ihnen zwei schöne da«, sagte Brunner und grinste. »Sie bekommen die Originale. Die Kopien, die ich gezogen habe, behalte ich. Zum Glück ist es nicht meine Frau, die da von einem anderen Kerl angeschmachtet wird.« Er ging zur Tür. »Viel Spaß beim Lesen!« Dann sprang er beschwingt die drei Stockwerke zum Ausgang hinunter.
    * * *
    Dieses Schwein! Nicht einmal richtig Deutsch konnte der. Und dabei war Charlotte ihm gegenüber immer so bedacht auf korrekte Grammatik und richtige Wortwahl. Wehe, sie entdeckte irgendwo einen Rechtschreibfehler, in der Zeitung, auf einer Speisekarte, egal wo. Wer Rechtschreibfehler machte, war in ihren Augen fast schon ein Asozialer. Was sie sich nur immer darauf einbildete! Auf ihr Gymnasium, ihr Anglistikstudium, ihre Studienkollegen. »Kommilitonen«. Das Wort allein war doch schon zum Kotzen! Ihre gebildeten Freunde. Charlotte war hier geboren und aufgewachsen, aber wenn sie nicht wollte, hörte man ihr ihre Herkunft nicht an. Sie sagte immer, der Grund dafür sei, dass sie mit so vielen Leuten aus anderen Ländern in der Sprachenschule und bei den Seminaren zusammen war. Da würde sie doch sonst keiner verstehen. Die Begründung leuchtete ihm sogar ein, aber zu Hause, mit ihm, da hätte sie doch so sprechen können wie die anderen Leute hier auch. Aber sie tat immer so, als wäre das eine Schande.
    Seine Freunde von früher hielten sie für eine arrogante Ziege. Niemand verstand, was die Helmer-Tochter überhaupt an einem wie ihm fand. Dass sie zusammenpassten. Das hatte er selbst ja auch gedacht. Und trotzdem hatte sie ihn gewollt. Ihn. Moritz Eberl. Als er ihr damals in Las Vegas den Antrag machte, hatte sie ihn einen Moment lang erschrocken angesehen, aber dann Ja gesagt. Nicht: Ja, aber. Nur: Ja. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er ihr sofort ein Kind gemacht, aber Charlotte wollte keins. Er hätte ihr schon die Pille verstecken müssen. Wenn er sie nach dem Grund dafür fragte, gab sie keine Antwort. Nicht einmal eine Ausrede ließ sie sich einfallen.
    Und jetzt dieser M., der Rechtschreibfehler machen und trotzdem seine Frau vögeln durfte. Michael, Markus, Manfred. M. Wer war dieses Schwein? War er blind gewesen? Wie hatte sich dieser Mann in das Leben seiner Frau drängen können, wo hatten sie sich getroffen? So hat sie ihn also ausgetrickst, das Luder. Und hat sich immer über seine Eifersucht beschwert. Seine Charlotte hat es also tatsächlich mit einem anderen Mann gemacht? Die gut erzogene Unternehmerstochter?
    Wäre irgendwer gekommen und hätte ihm das gesteckt, er hätte es nicht geglaubt. Nie im Leben. Nicht Charlotte. Aber dieser Scheißbulle hatte die Briefe doch in seinem Keller gefunden. In seinem eigenen Haus!
    Und jetzt war sie weg. Bei ihm? Und die Briefe hatte sie hiergelassen? Irgendwann hätte er wahrscheinlich wirklich jede Buchseite im Haus umgeblättert, aber der Bulle war schneller gewesen. Wieso musste sie ihm das antun? Er biss an einem Fingernagel herum, bis es wehtat. Immerhin war der Schmerz besser als die Angst davor, dass sein Leben gerade dabei war, in die Brüche zu gehen, und nichts mehr so sein würde, wie es einmal gewesen war. Alles kaputt. Er riss noch einmal an einem abstehenden Stück Haut und zog daran, bis die Nagelhaut blutete. Die Daumennägel hatten senkrechte Rillen, weil er immer wieder mit den Zähnen daran schabte, bis sie immer dünner wurden und diese Furchen bekamen. Anders war die Spannung nicht mehr auszuhalten, die ihn fast zerriss. Wenn die Medikamente doch nur helfen würden. Nachts lag er wach und suchte den Himmel nach dem ersten Streifen Licht ab.
    Wie viele Todesarten hatte er sich in diesen Nächten schon vorgestellt? Und immer war es Charlotte, die da an einem Fensterkreuz oder von einem Balken in einer Scheune hing, die tot im Straßengraben lag, das Fahrrad vom Gebüsch verborgen, oder unbekleidet in einem Waldstück, ihr Körper von Messerstichen zerfetzt oder ihr Hals mit Würgemalen gezeichnet. In

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