Eisprinzessin
wegsah. Dann verließ er den Raum unter dem Vorwand, er habe noch ein wichtiges Telefonat zu führen, und überließ die Bühne ganz dem allseits beliebten Axel Brunner aus Nürnberg, der mit kleinen Geschenken und Flirts um die Sympathie seiner neuen Kollegen buhlte. Von ihm würde er sie nicht bekommen, so viel stand fest.
Er dachte an Elmar Fischer, der jetzt auf seiner immergrünen Insel hockte. Am fränkischen Dialekt und Charakter konnte die Aversion, die Meißner für Brunner empfand, nicht liegen, jedenfalls nicht nur, denn Fischer war auch Franke. Aber der hatte sich zumindest nie etwas darauf eingebildet oder die Kripokollegen mit Bratwürsten zu bestechen versucht. Ich wär jetzt auch gern auf einer Insel, dachte Hauptkommissar Meißner und sah von seinem Bürofenster auf ein Stück Oberbayern hinaus, das berühmt war für seine Autoindustrie und seinen amtierenden Ministerpräsidenten, einen waschechten Schanzer, und das gerade im Winternebel unterging, der aus den Donauauen herauskroch und die kleine Großstadt verhüllte wie einst Christo den Berliner Reichstag. Nur dass der Nebel hoffentlich nicht wie Christos sündteurer aluminiumbeschichteter Spezialindustriestoff zwei Wochen lang hängen blieb. Die Donau bei Ingolstadt war zwar noch kein mächtiger Strom, dazu fehlten ihr ein paar kräftige Zuflüsse, aber in puncto Herbst- und Winternebel konnte sie es durchaus mit den anderen Donaumetropolen flussabwärts aufnehmen.
Meißner, der einsame Wolf, räumte also das Feld und überließ es seinem Rivalen. Er konnte nicht anders, als seine Sachen zu packen, seinen Computer auszuschalten und einfach Schluss zu machen. Freitagnachmittag. Wieso sollte er sich nicht mal ein paar Stunden früher ins Wochenende verabschieden? Er wusste auch schon, wohin.
Beim Hinausgehen unterhielt er sich noch kurz mit Manfred Stangelmayer, der wie eine Sphinx am Eingang des Präsidiums saß und darüber lamentierte, dass er am Abend seine Frau zur Eisgala vom Media Markt in die Saturn-Arena begleiten musste.
Anschließend fuhr er bei Luigi vorbei, deckte sich mit Wein, Ciabatta, Schinken und Pecorino ein und nahm noch etwas von der frischen Pasta und Sugo mit. Zu Hause packte er ein paar warme Sachen ein und machte sich dann nach einem doppelten Espresso aus seiner Saeco auf den Weg in die Donauauen. Den Weg zu seiner Datscha würde er auch blind finden. Hoffentlich brachte er den Ofen zum Laufen und es war genügend trockenes Holz da. Sonst könnte es ungemütlich werden. Das Handy steckte er ein, auch wenn es dort draußen nicht überall Empfang gab. Eigentlich konnte er es dann auch gleich ausschalten.
* * *
Seit Kurzem lebt ein Gecko im Haus. Ein Tier mit gelblicher Haut, die sich anfühlt wie trocknender Sand, etwa zehn, zwölf Zentimeter lang. Er wohnt hinter der Blechabdeckung eines Leitungskastens, kriecht durch einen winzigen Spalt raus und rein und läuft auf der Suche nach Beute über die Wand. Sein Kopf ist runder als der einer Eidechse, und die Pupillen in seinen großen dunklen Knopfaugen stehen senkrecht. Er klebt immer an der Wand, kommt nie herunter auf den Boden. Seine je fünf Zehen an den Vorder- und Hinterfüßen saugen sich mit Lamellen an glatten Oberflächen fest. An rauen Flächen setzt er seine feinen Krallen an den Fingerspitzen ein. Gestern fing er einen staubig grauen Falter, behielt ihn im Maul, bis die dünnen Beinchen aufhörten zu zappeln, und verschlang ihn dann samt Fühlern und Flügeln. Einmal, als ich ihm zu nahe kam, stieß er einen Laut aus, der wie das leise, weit entfernte Miauen einer Katze klang. Ich nenne den Gecko Carlos. Don Carlos, denn auf mich wirkt er stolz und in sich gekehrt. Ich beobachte ihn und staune über dieses Wesen, das wie ein Botschafter aus einer fremden Welt in meiner Nähe lebt, ohne sie zu suchen. So leben wir nebeneinanderher und sind einander nicht Jäger, nicht Beute. Es herrscht Friede zwischen uns. Er will nichts von mir und braucht mich nicht. Ich habe meinen Frieden hier.
* * *
Der Bulle hatte also den Schlüssel mitgenommen, aber er würde trotzdem da reinkommen. Als er das Schloss weder mit der Zange noch mit der Säge, die er aus der Küche geholt hatte, aufbekam, trat er mit dem Fuß das dünne Sperrholz-Türblatt ein und sägte mit der Stichsäge eine Öffnung, durch die er hindurchsteigen konnte. Wie ein Dieb musste er sich Zutritt zu seinem eigenen Keller verschaffen. Und daran war nur dieser Scheißpolizist schuld. Aber ihn würde er
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