Eisprinzessin
Alte, wichtig war, dass sie Eberl ausfindig gemacht hatte.
Als der erste Streifenwagen eintraf, knieten die beiden Kontrahenten am Boden und waren wie zwei Ringer ineinander verkeilt.
Als Brunner eintraf, hatten die Streifenkollegen die beiden schon voneinander getrennt. Von Wut und Raserei war nichts mehr zu spüren. Nur Erschöpfung. Eberl hatte eine Schramme an der Augenbraue, der Juniorchef eine blutige Nase. Seine Krawatte hing zur Seite, der Anzug war ruiniert, die Kappen seiner Budapester vom Asphalt zerkratzt und das Leder abgeschabt. Eberl sah übernächtigt aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seine Pupillen waren zwei große schwarze Mantelknöpfe. Der Notarzt nahm ihn zur Beobachtung mit ins Klinikum. Er tippte auf Drogenkonsum oder Medikamentenmissbrauch.
Als Brunner aus dem Einsatzfahrzeug stieg, kam wieder Farbe in Eberls Gesicht. Die Kollegen von der Streife mussten ihn daran hindern, auf den Kripobeamten loszugehen.
»Müssen Sie ihn unbedingt mitnehmen?«, fragte Brunner den Arzt.
»Haben Sie was dagegen?«, fragte der zurück.
»Wenn Sie ihn nicht mitnehmen, tu ich’s«, sagte Brunner. »Aber bei mir kriegt er kein so sauberes Bett und keine Pillen zum Schlafen.«
»Wie ist der denn drauf?« Die Streifenkollegen wunderten sich.
Brunner hatte sich Andreas Helmer zugewandt. »Fehlt Ihnen etwas?«
»Alles in Ordnung«, antwortete der Junior. »Kleine Familienstreitigkeiten. Kann ja mal vorkommen.«
»Klar, wenn ich mich alle paar Monate mit meinem Schwager streite, haun wir uns auch immer die Fresse ein.«
Als Brunner zum Verwaltungstrakt hinübersah, erkannte er eine Frau um die fünfzig mit rotstichiger Kurzhaarfrisur und kantiger Hornbrille, die zu ihnen auf den Hof hinuntersah. Wahrscheinlich die schnippische Alte, die ihn für die Wochenendaushilfe gehalten hatte. »Wo können wir uns hier in Ruhe unterhalten?«, fragte er Helmer.
Der Junior ging ihm voran ins Bürogebäude, hinauf in den ersten Stock, vorbei an der Rothaarigen, die sie wortlos anstarrte. In seinem Büro schenkte er sich einen Cognac ein und bestellte zwei doppelte Espressi.
»Was wollte Ihr Schwager überhaupt hier?«, fragte Brunner.
»Mein Schwager! Mein Gott, ich verstehe Charlotte bis heute nicht, warum sie ausgerechnet diesen Kerl geheiratet hat. Vermutlich aus reinem Protest. Seht her, wie weit ich sinken kann. Ich scheiße auf eure Firma, euer Geld und meine gute Erziehung. So etwas in der Art. So einen wie den kann doch jede kriegen. Dafür muss man sich nicht besonders anstrengen.«
»Aber was wollte er hier?«, insistierte Brunner.
»Der ist doch vollgepumpt mit Drogen. Haben Sie seine Augen gesehen? Der Mann ist ein Wrack. Wollte von mir einen Schlüssel für die Kühlhäuser. Ich sollte ihm alles aufsperren, damit er dort mit seinen Straßenschuhen reintrampeln kann und nach fünfzig Paletten Rahmspinat, Buttergemüse und Pommes die Schnauze voll hat von minus achtzehn Grad und bibbernd wieder rauskommt.«
»Aber was wollte er genau hier?«
»Der Narr sucht nach Charlotte. Und zwar hier bei uns. Erst war er in der Villa, jetzt in der Firma, statt dass er sich mal schlaumacht, was Charlotte eigentlich den ganzen Tag so getrieben hat. Aber klar, vor der eigenen Tür zu kehren ist immer schwieriger als vor einer fremden.«
»Meinen Sie, dass er etwas mit Charlottes Verschwinden zu tun hat?«
Der Junior sah ihn verblüfft an. »Der?«
»Können Sie sich das vorstellen? Ich meine, nicht nur indirekt.«
»Dieser Schlappschwanz? Nein, sonst wäre er doch nicht hier und in der Villa aufgetaucht. Und Charlotte ist doch die, die das Geld hat. Immerhin war sie so schlau, einen Ehevertrag zu machen.«
»Denken Sie eigentlich immer nur ans Geld? Meinen Sie wirklich, es gibt keine anderen Motive, warum Menschen durchdrehen und auf andere losgehen?«, fragte Brunner. »Was ist denn Ihrer Meinung nach mit Ihrer Schwester passiert?«
»Das weiß ich nicht, Herr Kommissar. Wirklich nicht. Aber ich muss mich jetzt leider umziehen. Ich erwarte Geschäftspartner aus Stuttgart. Sie müssen jeden Augenblick eintreffen, und ich möchte mich noch ein bisschen frisch machen, das werden Sie doch verstehen.«
Beim Hinausgehen kam Brunner noch einmal am Büro des feuerspeienden Drachen vorbei, der sich mit den Espressi auffallend lange Zeit gelassen hatte.
»Keinen Kaffee mehr?«, fragte sie schnippisch.
»Machen Sie sich nur keine Umstände wegen mir«, sagte Brunner zuckersüß. »Sie kennen doch bestimmt die
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