Eisprinzessin
verabschiedete er sie.
»Was war das denn jetzt?«, empörte Brunner sich.
»Wieso, was meinst du?«, fragte Meißner.
»Der hat uns doch besser verstanden als die Dolmetscherin. Was das den Steuerzahler wieder gekostet hat!«
»Achtunddreißig Euro die Stunde, dazu Anfahrt und Parkgarage. Wir haben die Kostennote gerade zusammen ausgefüllt. Der Betrag dürfte kein Loch in den Haushalt des Innenministeriums reißen.«
Ironie war an Brunner komplett verschwendet. Er reagierte gar nicht.
»Und so eine wie die gefällt dir?«, fragte er.
Meißner sah ihn überrascht an.
»Baskisch ist die älteste Sprache in Europa«, äffte Brunner sie nach. »Ganz toll, Frau Oberlehrerin, und wen soll das bitte interessieren? Also, Frauen gibt’s, die möchte man nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.«
»Keine Sorge, Brunner. Die würde sich von dir auch gar nicht anfassen lassen, egal ob mit Kneifzange oder ohne. Und die Antwort auf deine Frage ist: mich. Mich interessiert das.«
Brunner nervte ihn mit seiner Blödheit. Meißner war einfach saumäßig schlecht drauf in diesem Herbst und Winter. Erst die Sache mit Fischer, der einfach so aus Liebe den Dienst quittierte, und jetzt musste er mit seinem bescheuerten Ersatz auskommen. Dann die Sache mit Carola und Konstantin. Es war eine blöde Zeit. Und während er noch darauf wartete, dass sie endlich zu Ende ging, ging sie erst richtig los. Das wusste er nur noch nicht.
SECHS
»Stefan? Hier ist ein Mann, der seine Frau vermisst melden will. Sollen die Kollegen die Anzeige aufnehmen, oder soll ich ihn zu dir raufschicken? Er glaubt, ihr könnte etwas zugestoßen sein.« Stangelmayer wusste, dass das die meisten Menschen glaubten, die einen Angehörigen bei der Polizei vermisst meldeten. Er wusste aber auch, dass das für die überwiegende Zahl der Fälle nicht zutraf. Trotzdem war Sensibilität im Umgang mit den Angehörigen nie fehl am Platz, das war Konsens, und auch das wusste Stangelmayer.
Es war zehn Uhr morgens. Meißner hatte gleich einen Termin in einer Strafsache am Amtsgericht in der Harderstraße. Da er auf eigene Faust die Aufnahme der Vermisstenanzeige nicht abschließen würde können, beschloss er, den Kollegen Brunner dazuzuholen. Wenn nötig, sollte dieser dann alle weiteren Schritte einleiten.
»Schick ihn rauf«, antwortete Meißner.
Der Mann, der kurz darauf zaghaft an seine Bürotür klopfte, war Anfang bis Mitte dreißig, blond, sehr dünn, fast schmächtig, und er sah aus, als habe er die letzte Nacht kein Auge zugetan. Er hieß Moritz Eberl und sprach sehr schnell und so leise, dass die Beamten nach fast jedem Satz nachfragen mussten, ob sie auch alles richtig verstanden hatten. Brunner machte sich ein paar Notizen per Hand, denn für eine Anzeige war es noch zu früh.
Eberls Frau Charlotte war am Abend zuvor nicht wie sonst zwischen achtzehn und neunzehn Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen. Um zwanzig Uhr war er dann wie jeden Montag zu seiner Schafkopfrunde in der Gaststätte »Zur Fohlenheide« beim MTV aufgebrochen. Das Handy lag die ganze Zeit neben ihm, aber Charlotte rief nicht an. Und wenn er es bei ihr versuchte, war sie nicht zu erreichen. Um halb elf fuhr er wieder nach Hause, aber sie war in der Zwischenzeit nicht heimgekommen, und eine Nachricht von ihr fand er auch nicht. Gegen elf rief er bei ihrem Vater an, anschließend bei ihrem Bruder, aber auch die beiden wussten nicht, wo seine Frau war. Anschließend versuchte er es bei zwei von ihren Freundinnen. Eine von ihnen erreichte er nicht, die andere konnte ihm auch nicht weiterhelfen. Eberl verbrachte eine schlaflose Nacht und rief am Morgen in der Arbeitsstelle seiner Frau, einer Sprachenschule in der Ludwigstraße, an. Als man ihm dort sagte, seine Frau sei am Tag zuvor nicht zur Arbeit erschienen und habe auch nicht angerufen, meldete Eberl sich krank und ging zur Polizei.
»Da muss etwas passiert sein«, sagte er und presste die Hände aufeinander.
»Hatte Ihre Frau denn in der letzten Zeit irgendwelche Probleme?«, fragte Meißner ihn.
»Was denn für Probleme?« Der Mann schüttelte den Kopf.
»War sie krank? Hat sie Medikamente genommen?«
Eberl verneinte auch das.
»Wollte sie irgendwohin fahren, jemanden besuchen? Hatte sie für die nähere Zukunft etwas geplant, das sie vielleicht vorgezogen haben könnte? Oder hatte sie Ärger bei der Arbeit?«
Eberl schüttelte den Kopf. Er beharrte darauf, dass seiner Frau etwas zugestoßen sein musste, und verstand
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