EisTau
der Arzt aus Brasil steht da mit einer Stoppuhr in der Hand, wer nach 45 Sekunden nicht wieder aus dem Wasser ist, wird herausgezogen). Danach teilen wir Urkunden aus. Als letzter, nachdem der Arzt wieder an Bord zurückgekehrt ist, springe ich hinein und lasse mich wiederbeleben.
Nach dem zweiten Saunagang mußt du dich unbedingt ins kalte Wasser legen, instruierte mich Hölbl, nicht nur kalt abduschen. Obwohl ich Sauna ein Leben langverabscheut habe, machte ich mit, denn die fast nackten Damen blieben auf den Barhockern sitzen; stiert man zu lange auf ihre Körper, verfällt man in Depression. Habe ich zuviel versprochen, habe ich dir nicht gesagt, daß ich dich unter meine Fittiche nehmen werde? Unter Hölbls gönnerhafter Anleitung, die selbst das Binden des Bademantels einschloß, lernte ich die flüchtigen Begegnungen im Bordell kennen, samt einiger genüßlicher Aspekte, die Hölbl nicht erwähnt hatte: der Abschied von der Frau, in die man kaum eine halbe Stunde zuvor eingedrungen war, mit einem »Man sieht sich«, den Hintern, der um die Ecke entschwindet, im nächsten Augenblick vergessen, von anderen vorbeiwippenden Hintern verdrängt, und dann richtet man sich gemütlich in jener Müdigkeit ein, die sich als Sediment einer erlebten Episode ablagert. Nach wiederholten Besuchen, einige Male sogar ohne Hölbl, kam mir selbst die Plauderei zur Anbahnung unangemessen verbindlich vor. In jenem Klub, in den er mich einführte und den wir aufgrund des zufriedenstellenden Preis-Leistungs-Verhältnisses im Interregnum zwischen Scheidung und Antarktis aufsuchten, gab es ein kleines »Kino«, mit »Spielwiesen« statt Sesseln oder Stühlen, hier ruhte man sich aus, bekleidet nur mit einem Handtuch um die Lenden, betrachtete einen lächerlich stümperhaften Porno und je nach Veranlagung das ungenierte Treiben um einen herum, gelegentlich schlenderte eine Nackte vorbei und warf einem ein gekünsteltes »Möchtest du etwas Gesellschaft, Süßer?« zu. Das klang in meinen Ohren wie eine Drohung, weswegen ich nur ein Zeichen der Zustimmung von mir gab, wenn der Phraseuse eine originellere Formulierung gelang. Abgesehen von solchen Lockrufen, waren dieseZusammenkünfte ganz nach meinem Gusto, reduced to the max . Ich wies die Nackte wortlos an, mein Handtuch zur Seite zu schieben und mit der Arbeit zu beginnen. Als säße ich allein auf einem Riesenrad und betrachtete das Leben unter mir, en miniature, ohne eine Ahnung, wie ich von dort wieder herunterkommen sollte. Manchmal ließ es sich sogar vermeiden, fingierte Vornamen auszutauschen. Dann war ich am glücklichsten, meine fleischlichen Bedürfnisse befriedigt, ohne daß der Vorgang etwas mit mir zu tun hatte.
Bevor er das Schiff durch das enge Tor steuerte, hatte der Kapitän mich ins Visier genommen und seine Wortkargheit abgelegt. Auf der Brücke, in Gegenwart mehrerer Entscheidungsträger (wie es in der Sprache der Hierarchien heißt), setzte er mir auseinander, als Expeditionsleiter komme mir eine entscheidende Vorbildrolle zu, wenn ich auf Abwege geriete, gerate auch das Schiff auf Abwege, die Sicherheit der Passagiere habe obersten Vorrang, ein Mann in meinem Alter müsse sich beherrschen können, eine Zigarette würde nicht die Antarktis abfackeln, ich hätte die Zusammenarbeit mit der chilenischen Station gefährdet, dem Ansehen der Reederei geschadet, ich hörte danach nicht mehr zu, der Kapitän hat über meinen Wutausbruch nicht zu urteilen. Auch am Tag danach fühlte ich mich blamiert, aber im Recht, der Soldat hatte die Übereinkunft verletzt, die es uns gestattet, auf der Antarktis zu sein. Ich bedauerte nur, keinen zwingenden Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Am Kopf des Kapitäns vorbei blickte ich durch das geschwungene Fenster über das Meer, im Hintergrund ein eisiger Horizont, der Soldat schnipstseine Kippe mitten in die Pinguine hinein, ich sehe die Kippe auf das dichte Gefieder fallen und das schimmernde Schwarzblau versengen, es ist nicht die erste Kippe, die Pinguine stehen mitten in einem unausgeleerten Aschenbecher, sie stehen auf ihren Fersen inmitten ausgebrannter Kippen, ihre Stummelflügel ausgefahren, auch wenn sie nicht wegfliegen können. Als ich wieder aufhorche, läßt mich der Kapitän gerade wissen, daß er in seinem Bericht meine mangelnde Eignung zum Expeditionsleiter festhalten werde, er sehe sich leider zu der Empfehlung gezwungen, meine weitere Mitarbeit als Lektor zu überprüfen, gegebenenfalls durch ein
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