Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Lage, sich auch nur einen Zentimeter vom Fleck zu bewegen. Die Angst in ihren Gliedern wurde eins mit der Übelkeit, die sie überfiel.
»Sie sind nicht der Frauenmörder«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.
Der Oberstaatsanwalt lachte höhnisch auf, während er seinen Schirm achtlos zur Seite warf. »Selbstverständlich nicht«, sagte er dann. »Ich töte keine unschuldigen Frauen.«
In Annas Kopf arbeitete es. Er war nicht der umgehende Serientäter, und dennoch vermochte sie diese Tatsache nicht zu beruhigen. »Ich will jetzt bitte zum Tatort!«, flehte sie und spürte, wie ihre Knie vor Kälte und Angst schlotterten.
»Wie gesagt, meine Liebe«, gab er jedoch nur zurück, »das ist der Tatort. Wir befinden uns hier an Ihrem ganz persönlichen Tatort.«
Das ist kein Scherz, dachte Anna voller Entsetzen und blickte in seine glühenden Augen. Dies hier war bitterer Ernst. Dieser Mann war komplett verrückt. Er wollte sich anscheinend das Wissen, das er durch die Akten gewonnen hatte, zunutze machen, um sie zu töten. »Aber Kommissar Schmidt und die anderen …«, flüsterte sie. »Sie werden gleich hier sein.«
Tiedemann räusperte sich. Dann sagte er in veränderter Tonlage: »Spreche ich mit der diensthabenden Staatsanwältin?«
Es war unzweifelhaft die Stimme von Kommissar Schmidt, die sie vernahm. »Mein Gott«, hauchte sie.
»Man wird es herausfinden!«, sagte sie dann. »So etwas bleibt doch nicht unentdeckt. Der Anruf kann zurückverfolgt werden!«
Auflachend drängte er sie mit dem Rücken gegen einen Baum. Hubert kaute unberührt an seinem Knochen. Er spürte nicht die geringste Gefahr.
Warum auch? Er kannte Oberstaatsanwalt Tiedemann. Es war zwecklos, Hilfe von ihm zu erwarten.
»Aus, Hubert, lass den Köder!«, rief sie verzweifelt vor Sorge um ihren Hund und versuchte vergeblich, sich in seine Richtung zu winden, woraufhin Tiedemann sie zurückstieß.
»Ich habe die Anrufe natürlich nicht von meinem Handy aus getätigt«, sagte Tiedemann, dem das Regenwasser über das Gesicht rann, »sondern von einer öffentlichen Telefonzelle ganz in der Nähe Ihres Hauses.«
»Aber jetzt sind Sie hier«, gab sie verzweifelt zurück. »Man wird es herausfinden!«
»Natürlich bin ich hier.« In seinen Augen stand der Wahnsinn. »Sie selbst haben mich angerufen und eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen, erinnern Sie sich?«
Sein Gesicht war von dem ihren nur noch einen Fingerbreit entfernt, und er schob seinen Körper so nah
an sie heran, dass ihr jede Fluchtmöglichkeit genommen war.
»Bedauerlicherweise«, fuhr er ironisch fort, »habe ich Ihre Mobilfunknummer in meinem Handy falsch gespeichert und Sie deshalb nicht zurückrufen können. Ein fataler Fehler.« Er lächelte. »Warum sollte man ausgerechnet mich verdächtigen? Ich bin der, der Sie retten wollte.« Zärtlich strich er ihr eine triefnasse Haarsträhne aus dem Gesicht, und Anna wandte ruckartig den Kopf zur Seite, ohne sich ihm wirklich entziehen zu können.
Sie schluckte. Natürlich hatte er recht. Und wenn es stimmte, was er sagte, würde Bendt erst dann eintreffen, wenn sie schon längst tot war. Keiner würde auch nur den geringsten Zweifel daran haben, dass Oberstaatsanwalt Tiedemann ihr aufgrund der Nachricht auf seiner Mailbox nachgefahren war und sie gesucht hatte. Er würde derjenige sein, der den tragischen Leichenfund gemacht hatte, aber niemand würde je auf die Idee kommen, dass er selbst ihr Mörder war.
Panisch rief Anna sich das gerade von ihm geführte Telefonat ins Gedächtnis. Was hatte er gesagt? Sie muss auch hier sein … In ihrem Kopf dröhnte es. Bendt würde niemals Zweifel daran haben, dass Oberstaatsanwalt Tiedemann in den Wald aufgebrochen war, um sie zu suchen.
»Und warum sollte der Täter mich töten wollen?«, fragte sie. Ihr Mund fühlte sich unsagbar trocken an. Ich darf nicht aufgeben, dachte sie und hoffte, dass Tiedemann einfach wieder zu Verstand kommen würde.
»Erinnern Sie sich an die Pressekonferenz?«, fragte dieser jedoch heiser. »Ich war unabkömmlich. Sie waren an meiner Stelle da. Man wird vermuten, dass der Täter dort auf Sie aufmerksam geworden ist.«
Anna spürte, wie ihre Beine immer schwerer wurden. Sie fror vor Kälte, und gleichzeitig spürte sie die Hitze der Angst, die von ihrem Körper Besitz ergriff. Völlig erstarrt sah sie keine Möglichkeit, ihm zu entfliehen. Sie saß in der Falle.
»Was wird aus Ihrer Tochter?«, fragte sie schwach. »Was, wenn man es
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