Elben Drachen Schatten
schon auf den Beinen. Seine Augen waren schwärzer als die tiefste Nacht, sein Gesicht eine verzerrte Fratze, sodass er kaum mehr einem Elben glich. Er fühlte, wie die dunkle Kraft ihn durchflutete, wie bis dahin nur ein einziges Mal zuvor – damals, auf Naranduin.
Aber damals war diese Kraft etwas Fremdes gewesen. Etwas, das nicht Teil seiner selbst war, sondern ihm durch die Magie des Augenlosen Sehers eingeimpft worden war. Doch vielleicht war es schon damals gar nicht die Kraft des Sehers gewesen, sondern seine eigene, die sich der Seher nur geschickt zunutze gewusst hatte. Nun aber war er, Keandir, der Herr über dieses dunkle Etwas, das ihn durchströmte und nichts Fremdes mehr für ihn war, sondern ein Teil von ihm, untrennbar mit ihm verbunden, wenn auch erst auf Naranduin durch finstere Magie zum Leben erweckt.
Keandir bleckte die Zähne wie ein Raubtier. Er wurde eins mit dem Schwert in seinen Händen, fühlte, wie die dunkle Kraft auch diese Waffe durchströmte ― und schnellte vor. Der Axtherrscher trieb indessen sein Pferd auf Keandir zu und wollte erneut die Axt schleudern.
Aber Keandir hatte nur darauf gewartet. Im genau richtigen Moment riss er den Kopf zur Seite, und die Waffe sauste dicht an seinem Ohr vorbei.
Sie tötete Sokranos, der hinter Keandir zu Boden gestürzt war, weil ihn drei Trorks angesprungen hatten; die monströse Axt teilte seinen Pferdeleib in der Mitte. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle, und es gelang ihm noch, mit einem Rundumschlag seiner eigenen Axt die Köpfe zweier Trorks vom Rumpf zu trennen. Das Blut spritzte in Fontänen aus den Leibern der barbarischen Wesen, die in sich zusammensackten. Den dritten Trork streckte Hauptmann Rhiagon mit einem der kostbaren Bolzen seiner Einhandarmbrust nieder. Das magische Gift zerfraß den Trork. Sein Schrei erstarb, und er schmolz zu einer amorphen Masse zusammen, von der ein halb fauliger, halb stechender Geruch ausging.
Unterdessen stand König Keandir weiterhin dem berittenen Axtherrscher im Zweikampf gegenüber. Dessen Pferd stieg erneut auf die Hinterbeine, das Wiehern war durchdringend und hallte auf eine Weise wider, die jedem klarmachte, dass dies kein Tier von dieser Welt war, sondern ein von düsterer Magie zum Leben erwecktes Ungeheuer.
Der Axtherrscher streckte die Rechte aus, um die Axt wieder zurückzuholen. Aber diesmal erwischte Keandir die Waffe mitten im Flug mit einem wuchtigen Schwertstreich, als sie an ihm vorbeizischte. Dadurch wurde sie abgelenkt und landete zwanzig Schritt vom Geisterross des Axtherrschers entfernt, so sich ihr Blatt erneut in den Boden grub. Keandir stürzte Axtkrieger entgegen. Ein schneller Hieb trennte dessen Streitross den Kopf ab, und sein pechschwarzes Blut besudelte Keandir von oben bis unten. Der Axtherrscher stürzte zu Boden. Keandir war über ihm.
Der Axtherrscher ließ seine Waffe erneut durch die Luft schnellen, aber Keandir wehrte sie ein weiteres Mal ab, und Schicksalsbezwinger hieb den Axtstil diesmal entzwei. Schwarzes Licht strahlte von der durchschlagenen Waffe aus, und ein stöhnender Laut war zu hören, als ob es sich um ein lebendes Wesen handelte. Die beiden Teile fielen zu Boden und bluteten eine schwarze Flüssigkeit aus, genau wie das Pferd.
Der König stand über dem Axtherrscher und hielt ihm die Spitze Schicksalsbezwingers an die Kehle – oder zumindest dorthin, wo er die Kehle dieses Monstrums, denn abgesehen von der gähnenden Finsternis war unter der Kapuze buchstäblich Nichts.
»Worauf wartet Ihr?«, dröhnte die Gedankenstimme.
Keandir bemerkte die Ledertasche am Gürtel des Axtherrschers. Es war jene Tasche, aus der er bei ihrem letzten Zusammentreffen den Elbenstein geholt hatte, mit dessen Hilfe ihm in der albtraumhaften Zwischenwelt die Flucht gelungen war. Keandir nahm die Spitze Schicksalbezwingers nicht von der »Kehle« seines Gegners. Aber gleichzeitig zog er das Langmesser, das er noch bei sich trug, hervor und schnitt dem Axtherrscher damit die Tasche vom Gürtel. Er ließ das Langmesser einfach fallen und umfasste mit der linken die Tasche.
Ein Leuchten durchdrang seine Hände, und das charakteristische Gefühl der Kraft, das von den Elbensteinen ausging, durchflutete ihn. Sie waren es. Er wusste es, ohne dass er in die Ledertasche hineinschauen musste. Er steckte sie unter sein Wams.
»Nur zu, erstecht mich! Erschlagt mich!«, dröhnte die Gedankenstimme so intensiv, dass Keandir der Schädel zu platzen drohte. »Zerteilt mich,
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