Elbengift: Die Zwerge Von Elan-Dhor 1
dann müssen wir die Verfolgung abbrechen. Wenn wir jetzt umkehren, können wir es bis zur Dämmerung noch zurück zum Tal schaffen.«
Lhiuvan sah zum Himmel auf, der mit dicken, grauen Wolken bedeckt war, die das Versprechen auf noch viel mehr Schnee bargen. Dann ließ er seinen Blick über die Einöde aus Felsen, Schnee und Eis wandern, die sich vor ihnen erstreckte. Natürlich hatten die anderen recht, natürlich wäre es an der Zeit, umzukehren. Sie hätten es schon längst tun sollen. Die Frostspinne war dem goldenen Tal nicht einmal sonderlich nahe gekommen und hatte niemals eine Bedrohung dargestellt. Nur durch puren Zufall waren sie auf ihre Spur gestoßen, und es hatte von Anfang an keinen vernünftigen Grund gegeben, sie zu verfolgen.
Aber nicht immer ging es nur um Vernunft.
»Brechen wir die Verfolgung ab«, entschied er nach kurzem Überlegen. »Ich denke auch, dass das Biest keine Gefahr mehr darstellt. Reitet schon vor. Ich will nur noch etwas überprüfen und folge euch dann.«
Mit sichtlicher Erleichterung wendeten die Reiter ihre Pferde, lediglich Naltiria zögerte. Die junge Kriegerin hatte noch nicht an vielen Patrouillenritten teilgenommen, und Lhiuvan wusste, dass sie eine schwärmerische Verliebtheit für ihn empfand, ein Gefühl ohne jegliche Aussicht auf Erwiderung.
»Ich würde lieber mit Euch reiten«, sagte sie. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, sodass Lhiuvan sie kaum verstehen konnte.
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht nötig. Ich werde nicht lange brauchen.«
»Ihr wollt die Frostspinne weiter verfolgen«, hielt Naltiria ihm unumwunden vor. »Versucht gar nicht erst, es zu leugnen, ich erkenne es in Euren Augen. Ich habe keine Angst vor dem Ungeheuer. Lasst mich Euch begleiten.«
Lhiuvan erschrak. Waren ihm seine Gedanken so deutlich anzumerken? Am liebsten hätte er Naltiria befohlen, sich den anderen anzuschließen, doch stattdessen zuckte er nach ein paar Sekunden nur die Achseln und ritt weiter. Sollte sie ihm folgen, wenn sie wollte.
Er verstand selbst nicht ganz, was mit ihm los war. Gedanken, wie er sie in letzter Zeit immer häufiger und drängender verspürte, hatte er früher nicht gekannt – das Verlangen, sich mit jemandem oder wenigstens mit etwas zu messen, zu kämpfen.
Zu töten.
Es war ein düsteres Verlangen, eines Elben unwürdig. Er schämte sich dafür, doch es war so stark, dass es ihn manchmal fast von innen heraus aufzufressen schien, wenn er ihm nicht bald nachgab. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn immer häufiger der Drang, sein Schwert in lebendes Fleisch zu treiben, mit seiner Klinge durch Haut, Sehnen, Muskeln und Knochen zu schneiden, zu töten und zu zerstückeln.
Wie stets, wenn ihn diese Gedanken packten, empfand Lhiuvan Schrecken und Abscheu vor sich selbst, und wie stets versuchte er sie auch jetzt zu verdrängen.
»Warum?«, brüllte Naltiria ihm über das Fauchen des Sturms zu, nachdem sie ihr Pferd an seine Seite gelenkt hatte.
Lhiuvan antwortete nicht, tat, als hätte er sie gar nicht gehört.
»Warum?«, rief sie noch einmal. »Die Frostspinne stellt doch keine Gefahr mehr da. Warum wollt Ihr sie unbedingt weiter jagen?«
Fast widerwillig wandte Lhiuvan ihr für einen Moment das Gesicht zu und blickte sie an. Kälte und Wind vermochten ihr nichts anzuhaben – auch sie hatte sich durch einen Zauber geschützt. Ihr blondes, glattes Haar fiel herab und umrahmte ihr Gesicht. Es war ein überaus hübsches Gesicht, wie auch er zugeben musste, mit großen, leicht mandelförmigen Augen. Er hätte sich ob ihrer Gefühle für ihn glücklich schätzen sollen, obwohl ihm bewusst war, dass diese weniger ihm persönlich als dem berühmten Krieger galten, dem sie ihr Leben verdankte. Als Sklavin und dazu bestimmt, wie Schlachtvieh zu enden, war sie in den unterirdischen Katakomben tief unter dem Schattengebirge und der Zwergenmine Elan-Dhor aufgewachsen. Einem Stoßtrupp aus Elben und Zwergen war es gelungen, die Gefahr durch die Thir-Ailith, die Abtrünnigen seines Volkes, die sich dem Bösen verschrieben hatten und vor Äonen in die Tiefe verbannt worden waren, zu beseitigen und deren Opfer zu befreien, darunter auch Naltiria.
Etwas mehr als sieben Jahre lag das nun zurück.
Und damit auch der Tod Aliriels, der einzigen Frau, die er jemals geliebt hatte und jemals lieben würde. In einem Stollen der Zwergenmine Zarkhadul hatte sie bei einem Überfall der Thir-Ailith ein grausames und sinnloses Ende gefunden, und
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