Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
dauerhaften Freundschaften schließen. Ich habe das Gefühl, ich fange mein Leben noch einmal von vorn an.«
    »So extrem kann es doch nicht sein.«
    Er ließ seine Gabel sinken. »Weißt du, was mein Leben mir von jetzt an zu bieten hat?« Er schenkte mir sein gewinnendes Lächeln. »Zähne. Jeden Tag Tausende von Zähnen. Das Gute an Zähnen ist, dass sie mich vor dem Verrücktwerden bewahrt haben. Hast du schon mal vom Tourette-Syndrom gehört? Einige der Menschen, die daran leiden, werden Arzte und führen zwölfstündige Operationen durch, aber sobald sie ihre Handschuhe ausziehen, geht's sofort wieder los mit Ficken und Scheiße. Nur weil ein Mensch in der vorderen Hirnrinde oder dem Hypothalamus zu viel oder zu wenig von irgendeinem blöden Molekül hat, soll sein Leben nichts wert sein. Moleküle. Nur die waren Schuld — Moleküle.«
    Ich fragte: »Was war dir denn so wichtig, dass du es all diesen Frauen auf der Straße sagen musstest?«
    »Diese arme Frauen. Das werd ich mir nie verzeihen. Ich hab ihnen immer Blumen und Grußkarten gekauft, aber sie haben das falsch aufgefasst. Sie sollten alle die Erlaubnis erhalten, mich in die Hoden zu treten. Das habe ich verdient.«
    »Klaus, sei vernünftig. Du hattest dich nicht in der Gewalt. Okay, du hast all diese verrückten Sachen gemacht, aber gleichzeitig warst das gar nicht du.«
    »Ich akzeptiere keine Entschuldigungen.«
    »Wenn ich du wäre, würde ich all diesen freudianischen Therapeuten die Schuld geben, die dir jahrelang das Geld aus der Tasche gezogen haben. Ich bin schockiert, dass dich in dieser ganzen Zeit nicht einer zu einem zugelassenen Psychiater geschickt hat, der Medikamente verschreiben darf.«
    »Liz, Wien hat eine so große freudianische Vergan ...«
    »Sei still, Klaus. Sei einfach still.« Plötzlich hatte ich schlechte Laune. Da saß ich mit dem bestaussehenden Mann Europas in einem schicken Dachrestaurant beim Essen, und ich hatte schlechte Laune. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was so wichtig war, dass du all diese Frauen damit belästigen musstest.«
    »Ich war dabei aber nie aggressiv.«
    »Was war es denn nun?«
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und alle Blicke im Raum waren stumm auf ihn gerichtet, als würde sein hübsches Gesicht gleich eine Perle hervorbringen. »Ich fühlte mich immer zu Frauen hingezogen, die glaubten, sie wären mit der Welt oder mit dem, was die Welt ihnen zu bieten hatte, hundertprozentig zufrieden. Nicht sexuell angezogen, sondern moralisch — auch wenn das furchtbar klingt. Ich glaubte, ich konnte ihnen etwas viel Erhabeneres zeigen, als das moderne Wien ihnen bot.«
    »Und das wäre?«
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    Dass Klaus Jeremys Vater war, zeigte sich in vielerlei Hinsicht. Die ihnen beiden angeborenen Stärken und Schwächen waren dazu verurteilt, in der gleichen übersinnlichen Sackgasse zu landen. Ich hatte den Appetit verloren. Meine Serviette fiel zu Boden, aber ich hob sie nicht auf.
    »Elizabeth, was ist los mit dir?«
    »Sprich nicht mit mir. Nicht jetzt.«
    »O Gott. Habe ich einen Rückfall erlitten? Habe ich mich etwa danebenbenommen, ohne es zu merken?«
    »Nein, Klaus, hast du nicht.« Ich ärgerte mich, weil ich ihn nicht vor seiner Paroxetin-Zeit erlebt hatte — und auch weil ich wusste, dass ich dann in seinen Augen das gleiche Funkeln wie in Jeremys gesehen hätte, die gleiche Entschlossenheit, die glühende Sonne am Ende des Highway, etwas, das mich dazu gebracht hätte, bereitwillig auf die Knie zu sinken und über den Asphalt zu kriechen. Das war die Rolle, die er mir zugeteilt hatte, aber es führte zu nichts. Ich fühlte mich betrogen. Ich fragte Klaus: »Hast du schon mal Visionen gehabt?«
    »Wie meinst du das?«
    »Visionen. Hast du schon mal Dinge gesehen, die nicht real waren, aber auch keine Träume — Visionen, die dir ... ich weiß nicht ... etwas gezeigt haben, was noch kein Mensch gesehen hat?«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber ich hätte gerne welche gehabt.«
    »Jeremy hatte Visionen.«
    Klaus zog die Augenbrauen hoch.
    »Ja, wirklich.«
    »Was hat er denn gesehen?«
    »Viel und wenig. Ich habe so viel davon aufgeschrieben, wie ich konnte. Vielleicht war es nur Poesie, oder vielleicht lag es auch nur daran, dass sein Gehirn sich auflöste, aber das bezweifle ich. Die Dinge, die er sah, waren immer interessant für. mich. Es gab da diese Serie von Visionen, die anfingen, als ich ihn das erste Mal traf, kurz bevor er sehr krank

Weitere Kostenlose Bücher