Eleanor Rigby
Das ist also das, wovon alle immer geredet haben.
~72~
Die Welt ist ein seltsamer Ort. Ich fliege gerade darüber hinweg, in einer 777, mit Klaus. Ich glaube, dieses Tagebuch kommt langsam zum Ende - zumindest für die Liz Dunn, die ich einmal war, die Liz Dunn, die zu einsam zum Leben war und zu. ängstlich zum Sterben.
Wir fliegen nach Vancouver, um eine Woche in einem Hotel zu logieren, alles, was ich besitze, wegzuwerfen und meine Wohnung an den Ersten zu verkaufen, der anbeißt. Ich grüble darüber nach,» was ich behalten möchte, aber mir fällt nichts ein. Vielleicht eines von Jeremys übrig gebliebenen, inzwischen mit Staub gefüllten Pillenfläschchen. Ein paar Fotos. Seine voll gekritzelten Zettel.
Man höre und staune: Klaus ist noch nie geflogen - unvorstellbar, oder? Ich darf Zeuge sein, wie jemand zum ersten Mal die Welt sieht. Was für ein seltenes Vergnügen.
Die letzten drei Monate waren ziemlich turbulent. Klaus bekam die Unterlagen von den deutschen Behörden, in der die Menge und die Art der Strahlen spezifiziert waren, der ich ausgesetzt war. Ich muss leider sagen, dass es keine guten Nachrichten waren, aber Klaus' Zorn auf Gott schmeichelte mir. Ich sagte: »Komm, Klaus, lass gut sein. Ich bin nicht wütend — also sei du's auch nicht.« Natürlich kocht er innerlich, doch ich bin eigentlich ganz gelassen. Ich habe Kopfschmerzen, und dann und wann muss ich mich übergeben, aber ich bin auch schwanger - Überraschung! -, das heißt, in meinem Körper findet ein Wettrennen zwischen Leben und Tod statt. Aber trifft das nicht auf jeden zu, der je gelebt hat, auf immer und ewig? Liegt das nicht in der Natur des Lebens?
Klaus hat einen Fensterplatz. Der Kapitän sagt, wir seien gerade über den Orkney-Inseln — was für ein komischer Name, Orkneys ... wie der Name von unangenehmen Nachbarn, die zu viele Rottweiler besitzen. Wie ein kleines Kind hat Klaus mir gerade ein anderes Flugzeug in der Ferne gezeigt: Zwei Flugzeuge gleichzeitig in der Luft. Wenn man bedenkt, dass dieser weltgewandte, erwachsene Mann sich nur ein Ticket kaufen musste, um die Welt zu sehen ...
~73~
Vor ein paar Wochen, an demselben Tag, als ich die Bestätigung erhielt, dass ich schwanger war, hatte ich so schlimme Kopfschmerzen, dass es schien, als könnten sie das Wetter ändern. Ich schrie nach irgendetwas, egal was, durch das sie weggehen würden. Da gab Klaus mir eine Kleinigkeit aus seiner Zahnarzt-Lunchbox, die, wie er mir versicherte, dem Baby nicht schaden würde. Es linderte die Schmerzen, aber außerdem stellte es noch etwas anderes mit mir an. Plötzlich war ich in der Prärie, bei den verlassenen Farmern, die zuschauten, wie ein riesiges Windspiel aus Knochen in einer Brise, die nicht stärker war als das Flüstern eines Kindes, klirrte und klapperte.
Und dann schwebte ich über den Farmern - ich schwebte über der Prärie, und ich schaute auf sie und ihre Frauen und Kinder hinab, und dann wurde mir klar, dass ich die Stimme war, die vom Himmel sprach.
Ich sagte zu ihnen: »Leute, ihr seid jetzt mitten in der Wildnis. Ihr habt eine Entscheidung zu treffen, und euch steht ein kalter Winter voller Hunger bevor, in dem ihr das tun könnt.«
Sie fragten mich: »Was für eine Entscheidung?«
Und ich sagte: »Ihr müsst entscheiden, ob ihr Gott als Teil eures Alltags hier bei euch haben wollt oder ob er weit weg von euch sein und erst zurückkehren soll, wenn ihr eine Welt geschaffen habt, die gut genug für ihn ist.«
»Das ist die Wahl, die wir haben?«
Und ich sagte: »Genau.«
Ich schnippte mit den Fingern, und daraufhin fielen die Knochen und die Seile vom Himmel und bildeten kegelförmige Haufen auf der Straße und den Stoppelfeldern. Als ich wieder zu mir kam, war mir, als sei mein Kopf ein Zimmer, in dem alle Fenster offen waren und kühle, frische Luft hereinließen.
~74~
Der Kapitän sagt, wir werden gleich Reykjavik überfliegen, und ich glaube, hier ist nun wirklich Schluss, und was ist so schlimm daran, dass etwas zu Ende geht? Es ist irgendwie schön, nicht genau zu wissen, was mit uns geschieht, bevor wir geboren werden und nachdem wir sterben — oder nicht sicher zu sein, was mit uns in dieser nervösen, launischen Zeit passiert, die zwischen dem Punkt liegt, an dem wir unser Leben zu ändern beschließen, und dem, an dem es sich tatsächlich ändert.
Klaus hat mich gerade am Ärmel gezupft und mir ein paar Sterne über Island gezeigt, die man sogar bei Tageslicht sehen kann. Werden
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