Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
PROLOG
»Varnadhr rjódhr! Varnadhr rjódhr!«, brüllte der Lichtelb in das Interkom und zog ein langes, kurviges Titanschwert aus der Scheide auf seinem Rücken. »Háski yfir Albbrúdyrr! Ich wiederhole: Alarmstufe Rot! Angriff am Albbrú-Tor! Alle verfügbaren Einheiten sofort nach Sektor eins! Fastr!«
Er warf noch einmal einen Blick auf die Monitore. Um sicherzugehen, hatte er die Daten ein zweites Mal extrapoliert, ehe er die Warnung ausgerufen hatte – Größe, Dichte, Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit und Magiekonzentration. Was immer da kam, es war groß … und verdammt mächtig. Mit der freien Hand riss er die SIG-Sauer aus seinem Schulterholster, rannte aus der Wachkammer den Gang entlang nach rechts und sprang an dessen Ende über die Sandsteinbrüstung der Galerie. Dreißig Fuß in die Tiefe, hinunter in die Tropfsteinhalle, an deren gegenüberliegender Seite ein Teil der Felswand begonnen hatte, rot zu glühen – wie ein riesiger Fleck schmelzenden Metalls.
Bereits zwei Herzschläge später kam etwa ein Dutzend weiterer Wachelben in voller Rüstung hinzugerannt; bewaffnet mit runenverzierten Eibenbögen, Speerlanzen mit Silberstahlspitzen und schweren Heckler & Koch MG4 Maschinengewehren. Wie sie es selbst nach all den Jahrhunderten noch Tag für Tag trainierten, formten sie zwei konzentrische Halbkreise um den Fleck in der Wand herum. Der Elb, der den Alarm ausgelöst hatte, stand im Zentrum, nur wenige Meter von dem Tor entfernt, sein Schwert und die fünfzehnschüssige Automatikpistole in Verteidigungsstellung.
»Niemand schießt, ehe ich es sage«, bellte er, ohne sich zu seinen Mitstreitern herumzudrehen und dadurch seine schwarz glänzenden Augen vom Gefahrenherd abzuwenden. »Es könnte durchaus auch eine Gruppe der Unseren sein.«
Einer der Soldaten hinter ihm schnaubte verächtlich. »Das wäre wohl das erste Mal.«
Der Anführer ignorierte die Bemerkung und konzentrierte sich weiter nur auf die rot glühende Masse im Gestein. Er wusste, dass sein Kamerad Recht hatte und dass die Hoffnung verschwindend gering war, dass, was auch immer gleich durch das Tor brechen würde, in friedlicher Absicht käme. Seit sie den Großen Krieg um Alfheim verloren und sich hierher zurückgezogen hatten, war so etwas nicht mehr geschehen.
Elbenthal war die letzte Bastion.
Die finale Front gegen die Ewige Dunkelheit.
TEIL 1
DRESDEN
1
Dresden
Es stank nach alten Fritten, fettiger Jägersoße aus der Tüte und kalter Zigarettenasche. Das war normal hier in der verlassenen Seitengasse hinter der Dresdner Kaschemme, in der Svenya Hauk seit einigen Wochen als Spülhilfe und Putzfrau arbeitete. Aber etwas war anders als sonst. Svenya stellte die beiden zum Zerreißen schweren Müllsäcke vor dem überquellenden Container ab, wischte sich die Hände an der ohnehin schon vor Schmutz starrenden Schürze halbwegs sauber und schaute sich argwöhnisch in der dunklen Straße um. Sie glaubte nicht, dass die Leute vom Jugendamt auch nachts arbeiteten, aber vor der Polizei musste sie rund um die Uhr auf der Hut sein.
Svenya wollte auf gar keinen Fall zurück ins Heim.
Deshalb hatte sie sich das lange Haar rabenschwarz gefärbt und trug mehr Schminke im Gesicht, als ihr gefiel. Die Kehrseite war, dass sowohl der Wirt der Spelunke als auch der Koch sie wie Freiwild behandelten – mit jedem zweiten Satz irgendwelche Anzüglichkeiten von sich gaben und jede sich bietende Gelegenheit dazu benutzten, sie völlig ungeniert zu betatschen, wenn sie gerade einmal nicht aufpasste. Sie hielten Svenya für volljährig. Zurecht, schließlich hatte Svenya das ja auch behauptet, um den Job überhaupt erst zu bekommen. In Wahrheit aber war sie gerade erst sechzehn … für wenigstens noch eine halbe Stunde.
Als Geburtstagsgeschenk an sich selbst hatte sie sich für heute Nacht ein Zimmer in einem kleinen, billigen Hotel hinter dem Bahnhof gemietet, wo niemand nach ihrem Ausweis gefragt hatte. Wenigstens an ihrem Ehrentag wollte Svenya nicht unter einer Brücke an der Elbe schlafen. Am meisten freute sie sich auf die heiße Dusche … und auf das Federbett. Und darauf, endlich wieder einmal ausschlafen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen, entdeckt und wieder weggesperrt zu werden.
Das Leben auf der Straße war mühsam und manchmal nervenaufreibend; aber hier draußen war es immer noch besser als in der Obhut von Charlie, dem Heimleiter. Der hatte seine ganz eigenen Vorstellungen von Fürsorge und
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