Elena – Ein Leben fuer Pferde
feuerrotem Kopf an ihr vorbei zu meinem Platz ging.
»Eins in Deutsch, sechs in Mathe«, flüsterte sie vernehmlich und ihre beiden treuesten Anhängerinnen Tessa und Ricky kicherten gehorsam.
»Ariane?« Herr Graubner rief sie auf, genau wie sie es beabsichtigt hatte.
»Wer? Ich?« Sie riss ungläubig die Augen auf und deutete mit dem Finger auf sich. Alles nur Schau. In Mathe war Ariane unbestritten die Klassenbeste, sogar besser als alle Jungs.
»Ja, du, wenn’s recht ist.« Unser Mathelehrer hielt ihr grinsend die Kreide hin und glaubte wohl, er hätte sie endlich einmal drangekriegt.
Ariane tänzelte also nach vorn, warf ihre blonde Mähne zurück und löste die Aufgabe in weniger als zehn Sekunden.
»Sehr gut«, sagte Herr Graubner mit leichter Enttäuschung, weil er jetzt wohl begriffen hatte, dass er reingefallen war.
»War doch total leicht.« Ariane grinste triumphierend in meine Richtung. »Kinderkram.«
Nach der sechsten Stunde wartete ich ungeduldig auf meine beste Freundin Melike, die in die neunte Klasse ging. Der Regen prasselte auf das Dach der Pausenhalle und sammelte sich in großen Pfützen auf dem Schulhof. Pünktlich mit den Herbstferien hatte sich der Sommer endgültig verabschiedet – seit einer Woche regnete es fast ohne Unterbrechung.
Der Bus fuhr um fünf nach eins und wir hatten nur knappe zehn Minuten, um den Busbahnhof zu erreichen. Hunderte von Schülern strömten aus dem Schulgebäude und liefen an mir vorbei. Endlich tauchte Melike auf, als eine der Letzten.
»Der Wilhelm wollte noch mit mir reden.« Sie rollte die Augen. »Ich hab die Lateinarbeit wieder total verhauen, so ein Mist. Stell dir vor, er wollte wissen, ob ich verliebt bin!« Meine Freundin kicherte belustigt.
»Quatsch! Echt? Und was hast du gesagt?« Ich musste grinsen.
»Nichts.« Melike zuckte mit den Schultern und grinste auch. »Aber ich glaube, er denkt, es wäre so. In echt hab ich einfach keinen Bock auf Latein. Wer braucht denn so was?«
Ich zog mir die Kapuze meiner blauen Windjacke über den Kopf. Beeilen mussten wir uns jetzt nicht mehr, der Bus war sowieso weg.
Vorn, am Schultor, standen Ariane und ihre Busenfreundin Laura Baumgarten Arm in Arm unter einem riesigen knallgelben Regenschirm, wie siamesische Zwillinge, die der Länge nach aneinander festgewachsen waren. Ariane musste nie mit dem Bus fahren wie das gewöhnliche Fußvolk, auf das sie verächtlich hinabzusehen pflegte; ihre Mutter oder eines der ständig wechselnden Au-pair-Mädchen der Familie Teichert brachte sie morgens in die Schule und holte sie jeden Mittag wieder ab.
In dem Augenblick, als wir an ihnen vorbeigingen, hielt der schneeweiße Geländewagen von Arianes Mutter am Straßenrand gegenüber.
»Hey, Ariane!«, rief Melike, bevor ich sie davon abhalten konnte. »Wir haben den Bus verpasst! Meinst du, ihr könnt uns mitnehmen?«
»Oh, leider nicht! Wir fahren zum Mittagessen ins La Strada«, antwortete Ariane, die arrogante Pute, ohne uns auch nur anzusehen. »Tut mir echt leid!«
Sie und Laura warfen sich einen kurzen Blick zu, kicherten und stiegen in den protzigen Jeep. Türen knallten, das Auto schoss röhrend davon.
»Blöde Ziege!«, schimpfte Melike wütend und äffte Arianes gezierte Sprechweise nach. »Wir gehen ins La Strada! Vielleicht esse ich ein gaaanz winziges Rinderfilet oder besser Riesengarnelen! Puh!«
Das La Strada war eines der nobelsten Restaurants in Königshofen. Mama war mit Papa einmal dort essen gewesen und hatte erzählt, es sei so vornehm, dass auf der Speisekarte nicht mal die Preise stünden.
»Hätte ich dir vorher sagen können«, bemerkte ich. »Wir haben heute die Deutscharbeit zurückgekriegt und ich hatte die einzige Eins. Ariane kocht vor Wut!«
»Echt? Das ist ja cool!«
Wir trabten durch den Regen Richtung Busbahnhof und ich grinste vor mich hin, während Melike noch eine Weile auf Ariane, Laura und ihren Lateinlehrer schimpfte. Mir war es ziemlich egal, ich freute mich auf Mamas Gesicht, wenn ich ihr gleich das Heft mit der Deutscharbeit unter die Nase halten würde. Ganz lässig natürlich. Die meisten meiner Klassenkameraden hatten sich zu der Reportage »Der aufregendste Tag meines Lebens« etwas ausgedacht, aber ich hatte nicht lange überlegen müssen und die dramatische Geschichte vom Unfall meines Fohlens Fritzi von vor drei Jahren aufgeschrieben.
Als wir am Busbahnhof ankamen, war Melikes Ärger verraucht. Wir holten uns an der Imbissbude jeweils eine Tüte
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