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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Hornist in der Armee oder war das nur für das Foto?«
     Und ohne jede Andeutung von Verlegenheit, ohne das kleinste zittrige Zucken seines treuherzigen Lächelns würde er sagen: »Nur für das Foto.«
     Schlimmer noch: Ich wußte, daß sich der für einen Feldzug behütete Kopf des Hornisten bewegen, daß das feine, angespannte Profil auf dem Foto langsam erschlaf- fen und sich vom Mundstück des Horns, durch das die blöden, untalentierten Lippen niemals auch nur einen Furz hätten blasen können, abwenden und mir zuzwin- kern würde. Deswegen riskierte ich es nicht. Ich sagte nur: »Bis dann, Bernie«, und schaute, daß ich raus und nach Hause kam.
     Joan reagierte erstaunlich sanftmütig auf die Neuigkeit. Ich meine damit nicht, daß sie deswegen »nett« zu mir war, was mich in dem Zustand, in dem ich mich an die- sem Abend befand, vermutlich umgebracht hätte; es war vielmehr so, daß sie nett zu Bernie war.
     Der arme, verlorene, tapfere kleine Mann, der seinen großen, unwahrscheinlichen Traum träumte – so in der Art. Und konnte ich mir vorstellen, was es ihn im Lauf der Jahre gekostet hatte? Wie viele dieser jämmerlichen, schwerverdienten Fünf-Dollar-Scheine er in den boden- losen Rachen zweit-, dritt- und zehntklassiger Möchte- gernschriftsteller geworfen haben mußte? Was für ein Glück für ihn, daß er, wenn auch durch Heuchelei mit einem stornierten Scheck, schließlich Kontakt zu einem erstklassigen Profi aufgenommen hatte. Und wie rührend und wie »süß«, daß er diesen Unterschied anerkannt hatte, indem er »Dafür kriegen Sie Bares« sagte.
     »Aber um Himmels willen«, sagte ich, dankbar, daß aus- nahmsweise ich statt ihrer vernichtend praktisch dachte. »Um Himmels willen, du weißt doch, warum er mir Bar- geld gegeben hat, oder? Weil er die Geschichte nächste Woche für hundertfünfzigtausend Dollar an den gottver- dammten Reader's Digest verkaufen wird und weil er Ärger bekäme, wenn ich die Fotokopie des Schecks hätte und damit beweisen könnte, daß ich sie geschrieben habe, darum.«
     »Wollen wir wetten?« fragte sie und sah mich mit der für sie typischen, wunderschönen, wahrhaft unvergeß- lichen Mischung aus Mitleid und Stolz an. »Wollen wir wetten, daß er, sollte er sie tatsächlich dem Reader's Digest oder sonstwem verkaufen, darauf bestehen wird, dir die Hälfte zu geben?«

    »Bob Prentice?« sagte eine gutgelaunte Stimme am Tele- fon drei Abende spàter. »Bernie Silver. Bob, ich komme gerade von Dr. Alexander Corvo, hören Sie. Ich werde Ihnen nicht erzählen, was er gesagt hat, aber soviel sage ich Ihnen. Dr. Alexander Corvo hält Sie für ziemlich gut.«
     Was immer ich darauf antwortete – »Wirklich?« oder »Sie meinen, es gefällt ihm wirklich?« –, es war zurück- haltend und vielsagend genug, um die übers ganze Ge- sicht lächelnde Joan sofort an meine Seite zu holen. Ich erinnere mich noch daran, wie sie an meinem Hemds- ärmel zupfte, als wollte sie sagen: Na also – was habe ich gesagt? Und ich mußte sie beiseite schieben und mit der Hand abwinken, damit sie während des restlichen Ge- sprächs Ruhe gab.
     »Er will die Geschichte ein paar Kontaktpersonen im Verlagswesen zeigen«, sagte Bernie, »und er möchte, daß ich noch eine Kopie mache, um sie Manny an der West- küste zu schicken. Hören Sie, Bob, während wir warten, was mit dieser Geschichte passiert, möchte ich Ihnen den nächsten Auftrag geben. Oder warten Sie.« Und in seiner Stimme schwang eine neue Erkenntnis mit. »Hören Sie. Vielleicht ist es Ihnen angenehmer, allein zu arbeiten. Wäre Ihnen das lieber? Wollen Sie auf den Karteikasten verzichten und lieber Ihrer eigenen Phantasie freien Lauf lassen?«

    Spät an einem verregneten Abend stiegen mitten in der Upper West Side zwei Gangster in Bernie Silvers Taxi. Bei flüchtiger Betrachtung sahen sie wie gewöhnliche Fahr- gäste aus, aber Bernie erkannte sie sofort, denn »Glauben Sie mir, ein Mann fährt nicht zweiundzwanzig Jahre durch die Straßen von Manhattan, ohne daß ein paar spezielle Kenntnisse an ihm hängenbleiben.«
     Einer war natürlich ein hartgesottener Verbrecher, und der andere war gerade mal ein ängstlicher Junge oder vielmehr »nur ein kleiner Ganove«.
     »Mir gefiel nicht, wie sie miteinander redeten«, ließ Bernie seine Leser durch mich wissen, »und mir gefiel die Adresse nicht, die sie mir nannten – die mieseste Spe- lunke in der Stadt –, aber vor allem gefiel mir nicht, daß sie mit meinem

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