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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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das Schreiben einer Geschichte auch ein Bauen ist? Als wür- de man ein Haus bauen?« Und er war so erfreut über die- ses von ihm erschaffene Bild, daß er sich nicht die Zeit nahm, das bedächtige, zustimmende Nicken, mit dem ich ihn dafür belohnte, aufzunehmen. »Ich meine, ein Haus muß ein Dach haben, aber wenn man das Dach zuerst baut, steckt man in Schwierigkeiten, richtig? Bevor man das Dach baut, muß man die Mauern bauen. Bevor man die Mauern baut, muß man die Fundamente legen – und so weiter. Bevor man die Fundamente legt, muß man den Grund räumen und die richtige Baugrube ausheben. Habe ich recht?«
     Ich hätte nicht mehr mit ihm übereinstimmen können, aber noch immer ignorierte er meinen verzückten, spei- chelleckerischen Blick. Er rieb sich mit einem breiten Fin- gerknöchel den Flansch seiner Nase; dann wandte er sich triumphierend wieder mir zu.
     »Also gut, nehmen wir an, Sie bauen sich ein Haus. Und dann? Was ist die erste Frage, die Sie sich stellen müssen, wenn es fertig ist?«
     Aber ich sah, daß es ihm gleichgültig war, ob ich die Antwort verpatzte oder nicht. Er wußte, wie die Frage lau- tete, und konnte es kaum erwarten, sie auszusprechen.
     »Wo sind die Fenster?« sagte er und breitete die Hände aus. »Das ist die Frage. Wo kommt das Licht rein? Weil, verstehen Sie, was ich damit meine, wo das Licht rein- kommt, Bob? Ich meine die ... die Ph ilosophie Ihrer Ge- schichte, ihre Wahrheit, die –«
     »So etwas wie die Erleuchtung«, sagte ich, und er gab die Suche nach dem dritten Substantiv mit einem lauten zufriedenen Fingerschnalzen auf.
     »So ist es. Genau, Bob. Sie haben's erfaßt.«
     Wir waren im Geschäft und tranken ein weiteres Gin- ger-ale darauf, während er in seinem Karteikasten nach einer Idee für meine Probeaufgabe suchte. Die »Erfah- rung«, für die er sich entschied, handelte davon, wie Ber- nie Silver in seinem Taxi die Ehe eines neurotischen Paars gerettet hatte, einfach indem er sie in seinem Rückspiegel taxierte, während sie stritten, und ein paar ausgewählte Worte an sie richtete. Das zumindest war der ungefähre Verlauf. Auf der Karte stand nur:
    Oberschichtmann & Frau (Park Ave.) fangen im Taxi das Streiten an, regen sich auf, Frau schreit was von Schei- dung. Ich beobachte sie im Rückspiegel & gebe meinen Senf dazu & bald lachen wir alle. Geschichte über Ehe usw.

    Aber Bernie brachte volles Vertrauen in meine Fähigkeit, die Sache auszuarbeiten, zum Ausdruck.
     Während er umständlich meinen Trenchcoat aus dem Schrank holte und mir dabei half, ihn anzuziehen, hatte ich Zeit, die Fotos aus dem Ersten Weltkrieg in der Nische zu betrachten – eine lange Kompanieaufstellung, ein paar gerahmte vergilbte Schnappschüsse von lachenden Män- nern, die sich umarmen, und in der Mitte das Bild eines einzelnen Hornisten auf einem Exerzierplatz mit staubi- gen Kasernen und einer aufgezogenen Flagge im Hinter- grund. Es hätte die Titelseite einer alten Ausgabe von American Legion mit der Unterschrift »Pflicht« sein kön- nen – der perfekte Soldat, schlank und in Habachtstel- lung, und die Mütter von Gefallenen hätten geweint angesichts seines schönen jungen Profils, das sich in männlicher Ehrerbietung gegen das Mundstück seines schlichten, beredten Horns drückte.
     »Wie ich sehe, gefällt Ihnen der Junge«, sagte Bernie gerührt. »Ich wette, Sie kommen nicht drauf, wer das ist.«
     Wade Manley? Dr. Alexander Corvo? Lionel Trilling? Aber ich wußte, noch bevor ich mich umblickte zu sei- nem errötenden strahlenden Gesicht, daß es Bernie selbst war. Und ob es nun albern klingt oder nicht, ich muß zugeben, daß ich ein klein bißchen echte Bewunderung für ihn empfand. »Also, ich will verdammt sein, Bernie. Sie sehen ... Sie sehen da ziemlich toll aus.«
    »Damals war ich viel dünner«, sagte er und tätschelte
    seinen seidenen Bauch, als er mich zur Tür brachte, und ich erinnere mich, daß ich hinunterblickte in sein großes, dummes, schwammiges Gesicht und versuchte, irgend- wo darin die Züge des Hornisten zu finden.
     Auf dem Nachhauseweg in der wackelnden U-Bahn, während ich leise rülpste und Ginger-ale im Mund schmeckte, wurde mir zunehmend bewußt, daß es einen Schriftsteller weit schlimmer treffen könnte, als fünfund- zwanzig Dollar für zweitausend Worte einzusacken. Es war fast die Hälfte dessen, was ich in vierzig elenden Stun- den zwischen amerikanischen Aktien und sinkenden Effektenvorzugs schein en verdiente;

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