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Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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KAPITEL EINS
    21. August 2010
    Es war der Tag des Wunders und des Massakers. Auf halbem Weg zwischen Norwegen, Island und Schottland durchpflügte die Serendipity das graue Wasser. Die metallisch glänzende Dünung schlug so heftig gegen den Rumpf des Trawlers, dass dieser bedenklich ins Schwanken geriet. Während sie auf den Einsatz wartete, döste Rachel Karlsen fröstelnd in ihrer Koje und kämpfte mit leichter Übelkeit. Seit sie knapp drei Wochen zuvor im dänischen Hafen Å lborg an Bord gegangen war, fror sie. Eine durchdringende Kälte, so als hätten ihre Knochen bis ins Mark den feinen Regen gespeichert, der jeden zweiten Tag auf sie niederging. Es wollte Rachel einfach nicht gelingen, ihre innere Unruhe zu vertreiben. Dieser Tag markierte das Ende eines Lebensabschnitts: Es war ihre letzte Kampagne, diesmal gegen die mittelalterliche Barbarei, die alljährlich an den Ufern der Färöer-Inseln stattfand. Danach würde sie, das hatte sie fest beschlossen, nach Kopenhagen zurückkehren und ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen. Es würde sicher ruhiger und weniger intensiv sein, aber auch konstruktiver. Das wurde, nachdem sie nun über dreißig Jahre alt war, auch Zeit. Die Perspektive war beängstigend und aufregend zugleich.
    Der vierzig Meter lange alte Industrietrawler fuhr unter holländischer Flagge inkognito Richtung Färöer-Inseln. Sein Name und sämtliche Logos der Nichtregierungsorganisation Green Growth – zwei ineinander verschlungene grüne Gs über einer blauen Erdkugel – waren von Rumpf, Bordmaterial, Ölzeug, Computern und persönlichen Gegenständen entfernt oder überstrichen worden. Nichts deutete auf die Zugehörigkeit der Gruppe hin. Offiziell begab sich eine Delegation von Vertretern des Whale Watching zu den dänischen Inseln, um neue Spots für diese beliebte touristische Attraktion zu entwickeln. In Wahrheit war die zwanzigköpfige Besatzung, die zur Hälfte aus Freiwilligen bestand, entschlossen, mit den Mördern der Grindwale abzurechnen. Zwanzig Aktivisten unterschiedlicher Nationalität und Vergangenheit: Anarchisten, Studenten, ein Punk, Kriegsdienstverweigerer und einige professionelle Umweltschützer – und alle waren kampflustig und hoch motiviert.
    Am Bug des Schiffes stand Morten, der Expeditionsleiter, eine imposante Gestalt mit gebräuntem, von Wind und Gischt gegerbtem Gesicht. Seine linke Hand umklammerte die Reling, die rechte hielt ein Fernglas, mit dem er den Ozean absuchte. So weit das Auge reichte, war nichts anderes zu sehen als die schwarz schillernden, bewegten und undurchdringlichen Wassermassen. Seit zwei Wochen wartete der dänische Kapitän darauf, eine Rückenflosse oder den Blas eines der Meeressäuger zu entdecken. Vergebens. Sie hatten ein paar einzelne Delfine gesichtet, zwei Schwertwale, eine Schule Großer Tümmler, zwei Robben. Aber keinen einzigen Grindwal, obgleich es in diesem Gebiet viele Kalmare gab, die zu ihrer Hauptnahrung zählten.
    Die ganze Reise über hatten sie schlechtes Wetter gehabt, und die Navigationsbedingungen waren äußerst beschwerlich. Mehr als einmal wäre die Geheimoperation beinahe vorzeitig beendet worden. Die argwöhnische dänische Marine hatte offenbar Verdacht geschöpft und zwei Patrouillen losgeschickt, die Fotos gemacht und die Besatzung befragt hatten, freilich ohne dass sie ihnen auf die Schliche gekommen wären. Die Serendipity kreuzte in den Fjorden, doch von Walen war keine Spur. Frederik, der »Rotschopf« – seit sechs Jahren festes Mitglied von Green Growth –, war sogar für eine Nacht an Land gegangen, um sich in den Fischerkneipen umzuhören. Dann war er mit Neuigkeiten an Bord zurückgekommen. Wahrscheinlich würde das Massaker an dieser Küste, in der Nähe von Klasvik, stattfinden, denn hier hatten Fischerboote Walschulen ausgemacht. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Besatzung der GG begonnen, vor der Küste spezielle kleine Bojen auszusetzen. Es handelte sich um eine französische, an Mittelmeerdelfinen getestete Erfindung, die via Radiotransmitter Signale, ähnlich den Schreien jagender Schwertwale, von sich gab, um die Grindwale in die Flucht zu schlagen.
    Nach zwanzig Tagen auf dem Meer mit nur einem einzigen Zwischenstopp, um aufzutanken und ein Radargerät reparieren zu lassen, wurde die Atmosphäre an Bord immer angespannter. Seekrankheit, Untätigkeit, die drangvolle Enge, die zwangsläufig vegetarische Kost und die Erwartung eines angekündigten Massakers hatten die gute Laune der

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