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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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diesmal war ich nicht sicher, was ich mehr fürchtete: Daß Bernie sagte: »Nur für das Foto« oder daß er sagte: »Klar war ich Hornist!« und im Schrank oder der Kredenz kramte, bis er das angelaufene alte Horn gefunden hätte, und wir alle zurückkehren und uns erneut setzen müßten und Bernie die Hacken zusammen- schlüge, sich aufrichtete und für uns alle die reine, trau- rige Melodie des Zapfenstreiches spielte.

    Das war im Oktober. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele »Von Bernie Silver«-Geschichten ich im Herbst noch schrieb. Ich erinnere mich an eine komische Geschichte über einen dicken Touristen, der mit dem Bauch stecken- blieb, als er versuchte, sich durch das Dachfenster des Taxis zu schieben, um eine bessere Sicht zu haben, und eine sehr ernste, in der Bernie einen Vortrag über Tole- ranz gegen andere Rassen hielt (die mir sauer aufstieß angesichts der Tatsache, daß er mit Roses Ansichten zu den braunen Horden, die in der Bronx einfielen, sympa- thisiert hatte); aber woran ich mich während dieser Zeit am besten erinnere ist, daß Joan und ich ihn anschei- nend nicht erwähnen konnten, ohne uns zu streiten.
     Als sie zum Beispiel meinte, daß wir uns wirklich für seine und Roses Einladung revanchieren sollten, entgeg- nete ich, sie solle nicht albern sein. Ich wäre sicher, dass sie es nicht erwarteten, und als sie fragte: »Warum?«, klärte ich sie knapp und ungeduldig über den hoffnungs- losen Versuch auf, Klassenschranken zu ignorieren, so zu tun, als ob die Silvers tatsächlich unsere Freunde werden könnten oder als ob sie das wirklich wollten.
     Ein anderes Mal, gegen Ende eines merkwürdig lang- weiligen Abends, den wir in unserem vorehelichen Lieb- lingsrestaurant verbrachten, nachdem uns eine Stunde lang nichts eingefallen war, worüber wir hätten reden können, versuchte sie, das Gespräch in Gang zu bringen, indem sie sich romantisch über den Tisch beugte und ihr Weinglas hochhielt. »Auf daß Bernie deine letzte Ge- schichte an Reader's Digest verkauft.«
     »Ja«, sagte ich. »Klar. Wird 'ne große Sache.«
     »Ach, sei nicht so miesepetrig. Du weißt genau, daß es
    jederzeit passieren kann. Wir könnten eine Menge Geld verdienen und nach Europa gehen.«
     »Bist du verrückt?« Plötzlich ärgerte es mich, daß ein intelligentes, gebildetes Mädchen im zwanzigsten Jahr- hundert noch so leichtgläubig sein konnte; und daß die- ses Mädchen mein Frau sein sollte und von mir erwartet wurde, mich über Jahre mit dieser einfältigen Unschuld zu arrangieren, erschien mir in diesem Augenblick eine unerträgliche Situation. »Warum wirst du nicht erwach- sen? Du glaubst doch nicht wirklich, daß es eine Chance gibt, diesen Schund zu verkaufen, oder?« Und ich sah sie an, wie Bernie mich an dem Abend angesehen haben mußte, als er fragte, ob ich wirklich geglaubt hätte, daß er mir jedesmal fünfundzwanzig Dollar zahlen würde. »Oder?«
     »Doch, das glaube ich«, sagte sie und stellte ihr Glas ab. »Oder zumindest habe ich es geglaubt. Und ich habe gedacht, daß du es auch glaubst. Wenn das nicht der Fall ist, erscheint es mir zynisch und unaufrichtig, weiterhin für ihn zu arbeiten, nicht wahr?« Und auf dem Nach- hauseweg sprach sie kein Wort mit mir.
     Das eigentliche Problem war vermutlich, daß wir uns zu diesem Zeitpunkt über zwei wesentlich ernstere Dinge Sorgen machten. Zum einen hatten wir vor kurzem ent- deckt, daß Joan schwanger war, und zum anderen sank mein Ansehen bei United Press so beharrlich wie die Effektenvorzugsscheine.
     Während ich darauf wartete, daß meine Vorgesetzten immer weiter herausfanden, wie wenig Ahnung ich hatte von dem, was ich tat, war meine Zeit in der Wirtschafts- redaktion zu einem schleichenden Martyrium geworden; und wie erbärmlich willens ich jetzt auch war, zu lernen, was ich eigentlich wissen sollte, so war es doch allzu lächerlich spät, noch Fragen zu stellen. Ich beugte mich jeden Tag tiefer und tiefer über meine klappernde Schreib- maschine und wartete auf meinen Rauswurf – das freund- liche, traurige Herabsinken der Hand des stellvertreten- den Leiters der Wirtschaftsredaktion auf meine Schulter (»Kann ich einen Augenblick in meinem Büro mit Ihnen sprechen, Bob?) –, und jeden Tag, an dem es nicht pas- sierte, verbuchte ich als schäbigen Sieg.
     Anfang Dezember ging ich an einem solchen Tag von der U-Bahn nach Hause, schleppte mich die Zwölfte Straße entlang wie ein Siebzigjähriger, als ich bemerkte,

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