Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
daß seit eineinhalb Blocks ein Taxi im Schneckentempo neben mir herfuhr. Es war ein grünweißes Taxi, und hin- ter der Windschutzscheibe blitzte ein breites Lächeln auf.
»Bob! Was ist los, Bob? Sie sind ja ganz in Gedanken versunken. Leben Sie hier?«
Als er das Taxi neben dem Bordstein abstellte und aus- stieg, sah ich ihn zum ersten Mal in seiner Arbeitsklei- dung: Schiebermütze, geknöpfte Strickjacke und um den Bauch eins dieser länglichen Wechselgeldgeräte; und als wir uns die Hand gaben, sah ich zum ersten Mal, daß sei- ne Fingerspitzen glänzend grau gefleckt waren, weil er den ganzen Tag die Münzen und Dollarscheine fremder Menschen in die Hand genommen hatte. Aus der Nähe betrachtet, lächelnd oder nicht, sah er so erschöpft aus, wie ich mich fühlte.
»Kommen Sie mit, Bernie.« Er schien überrascht vom bröckelnden Eingang und den schmutzigen Treppen des Hauses, ebenso wie von der geweißten, mit Plakaten geschmückten Strenge unseres großen Zimmers, dessen Miete wahrscheinlich weniger als die Hälfte dessen be- trug, was er und Rose für ihre Uptown-Wohnung zahlten, und ich erinnere mich, daß ich einen leisen bohemien- haften Stolz darauf verspürte, ihn diese Dinge sehen zu lassen; vermutlich hatte ich die snobistische Vorstellung, es würde Bernie Silver nicht schaden zu erfahren, daß es Menschen gab, die gleichzeitig klug und arm waren.
Wir konnten ihm kein Ginger-ale anbieten, aber er meinte, ein Glas einfaches Wasser würde es auch tun, und so war es kein großes gesellschaftliches Ereignis. Danach bekümmerte mich der Gedanke, wie angestrengt er Joan gegenüber war – ich glaube, er sah ihr während des gesamten Besuchs nicht einmal voll ins Gesicht –, und ich fragte mich, ob es daran lag, daß wir uns nicht für ihre Einladung revanchiert hatten. Warum wird in diesen Dingen fast immer den Frauen die Schuld gegeben für etwas, was mindestens genauso oft die Schuld ihrer Männer ist? Aber vielleicht war er sich in ihrer Gegenwart seiner Taxifahrerkleidung auch nur bewußter als in mei- ner. Oder vielleicht hatte er sich nicht vorstellen können, daß eine so hübsche und kultivierte Frau in einer so kar- gen Wohnung leben konnte, und es war ihm peinlich für sie.
»Ich will Ihnen sagen, weswegen ich vorbeigekommen bin, Bob. Ich will es mit einer neuen Methode versuchen.« Und während er sprach, begann ich mehr aufgrund sei- nes Blicks als aufgrund seiner Worte zu vermuten, daß etwas mit dem langfristigen Bauprogramm schrecklich schiefgelaufen war. Vielleicht hatte ein Verlegerfreund von Dr. Corvo endlich ein Wort zu den armseligen Möglich- keiten unseres Materials riskiert; vielleicht war Dr. Corvo selbst bissig geworden; vielleicht hatte Wade Manley einen endgültigen vernichtenden Kommentar abgegeben oder, noch vernichtender, Wade Manleys Agent. Oder vielleicht war Bernie nach seinem Arbeitstag auch nur auf eine Weise müde, die kein Glas einfaches Wasser beheben konnte; jedenfalls wollte er es mit einer neuen Methode versuchen.
Hatte ich jemals von Vincent J. Poletti gehört? Er nann- te mir diesen Namen, als wüßte er ganz genau, daß er mich damit nicht verblüffen konnte, und fuhr augenblick- lich fort mit der Information, daß Vincent J. Poletti der demokratische Abgeordnete im Landesparlament aus Ber- nies Wahlkreis in der Bronx war.
»Und dieser Mann«, sagte er, »ist jemand, der alles tut, um den Leuten zu helfen. Glauben Sie mir, Bob, er ist keiner von diesen billigen Stimmenfängern. Er ist ein wirklicher Diener des Volks. Und außerdem ist er ein kommender Mann in der Partei. Er wird unser nächster Kongreßabgeordneter. Und jetzt kommt meine Idee, Bob. Wir nehmen ein Bild von mir – ich habe einen Freund, der es umsonst machen wird –, er soll mich vom Rück- sitz des Taxis aus fotografieren, ich sitze am Lenkrad, drehe mich um und lächle, so.« Er drehte seinen Körper weg von seinem lächelnden Gesicht, um mir zu zeigen, wie es aussehen würde. »Und dieses Bild drucken wir auf die Titelseite eines Büchleins. Der Titel des Büch- leins« – und hier deutete er Blockbuchstaben in der Luft an – »der Titel des Büchleins lautet: ›Glauben Sie Bernie.‹ Okay? Also. In dem Büchlein steht eine Geschichte – ganz genauso wie die anderen, die Sie geschrieben haben, aber diesmal ein bißchen anders. Diesmal erzähle ich die Geschichte, warum Vincent J. Poletti der Mann ist, den wir im Kongreß brauchen. Ich meine nicht einfach politi-
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