Elfenlied
waren sehr viel auf Reisen, und wir begegneten dabei einigen sehr seltsamen Geschöpfen. Riesen mit Stierköpfen. Otter, die die Gestalt von Elfenmädchen annehmen können, aber auch dann noch rohen Fisch essen. Die Spinnenmänner aus den Mondbergen, von denen es heißt, dass die Mütter ihre Jungen in Felsschluchten stürzen, wenn sie zu viele zur Welt bringen. Kentauren, die mit den Köpfen ihrer Feinde ein wildes Fangspiel treiben … Jedenfalls werde ich nie vergessen, wie sie einen Silberlöwen vertrieb, indem sie den Geruch einer zornigen Hornschildechse annahm.
All diese Begegnungen hatten wir überlebt, also bin ich geneigt zu glauben, dass meine Mutter recht hatte. Sie hatte mich einen Zauber gelehrt, mit dem man jeden Geruch nachahmen konnte, man musste ihn nur ein einziges Mal gerochen haben.
Alvias war der Richtige für den Duft von halb verfaulten Fischköpfen. Davor laufen sogar Ratten davon. Der Geruch sollte ihm aber nur leicht anhaften. Es sollte diese Art von Duft sein, die kommt und geht. Bei der man sich nicht ganz sicher ist, ob sie da ist. Alles, was zu aufdringlich gewesen wäre, hätte dafür gesorgt, dass meine Rache schnell aufgeflogen wäre. Im Übrigen wusste ich damals ja auch noch nicht, wie lange meine Reise mit Alvias dauern würde. Er würde sich nicht riechen, aber ich hätte den Gestank die ganze Zeit in der Nase. Und wir Lutin haben überaus empfindliche Riechorgane.
Endlich schaffte es der Elf, dass sich ein Bogen aus goldenem Licht aus dem Schnee erhob. Dahinter sah man einen leuchtenden Pfad, der durch die Finsternis führte.
Ich entschied, noch etwas zu warten. Als wir auf den Pfad aus Licht ritten, hatte ich das Gefühl, dass uns etwas aus der Deckung der Dunkelheit heraus beobachtete. Ich konnte zwar nichts entdecken, aber ich war mir ganz sicher, dass dort etwas war, gerade außerhalb meines Blickwinkels.
Auch der Hengst spürte es. Er scheute. Und Alvias hatte alle Mühe, das Pferd unter Kontrolle zu halten. Es waren nur ein paar Schritt, die wir über den Pfad aus Licht schaffen mussten, aber mir erschien es, als reisten wir eine Ewigkeit. Endlich traten wir durch ein zweites Tor aus Licht. Vor uns erhob sich ein steiler Grashügel. Es war hier viel wärmer. Erste Blumen brachen durch die vereinzelten Schneeflecken.
Alvias sagte nichts, weder über die Reise noch darüber, wo wir waren. Er ließ den Hengst den Hügel hinauftraben und ritt in die beginnende Dämmerung. Ich sah mich um und hoffte, irgendetwas zu entdecken, das mir verriet, wo wir uns befanden. Vergebens.
Bald erreichten wir ein weites Waldstück, und die Nacht verschlang uns. Der große Elfenhengst preschte mit schlafwandlerischer Sicherheit durchs Dickicht. Mir schlugen immer wieder dünne Äste ins Gesicht, aber ihm und Alvias geschah nichts. Das erinnerte mich an meine Rachepläne.
Ich wob den Zauber. Und dem verdammten Gaul verpasste ich auch gleich einen neuen Duft.
Als wir endlich aus dem Wald herauskamen, schlief ich ein, und ich glaube, ich träumte von Fischen. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist ein von Fackeln erleuchteter Hof. Über uns spannte sich ein prächtiger Sternenhimmel.
Ein bocksbeiniger Faun hielt Alvias’ Hengst beim Zügel. Er schnitt eine Grimasse und rümpfte die Nase. Dann rollte er mit den Augen und bedachte mich mit einem Blick, als teilten wir ein Geheimnis. Er sagte nichts, sondern sah Alvias hinterher.
Der Hofmeister war abgesessen und verneigte sich vor einer Elfe, die ich, so sehr ich auch den Kopf verdrehte, nur von hinten sehen konnte. Sie war kleiner als Alvias und trug ein ärmelloses, lindgrünes Kleid mit Stehkragen. Ihr Haar war leicht gelockt und reichte ihr bis zu den Schultern. Einige Blütenfeen tanzten um sie herum und spielten mit ihren Locken. Es duftete nach Vanille und Baumharz.
»Mein armer Alvias. Mir scheint, die Reise war anstrengender als erwartet. Haben die Kentauren dich dazu genötigt, an einem ihrer berüchtigten Gastmahle teilzunehmen?«
»Sie waren nicht aufdringlich und auch nicht unhöflich«, entgegnete er knapp.
»Mir schien es, als hätten sie dir ein altes Heringsfass als Ehrenplatz angeboten.«
Ich konnte sehen, wie Alvias die Stirn runzelte. Ihm war offensichtlich schleierhaft, was die Elfe meinte. Mein Zauber war gelungen! Und er ahnte nichts davon, konnte er sich selbst doch nicht riechen. Ich musste mir auf die Lippen beißen, um nicht zu kichern.
»Wie ist sie?«, wechselte die Elfe das Thema.
»Ein
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