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Elfenlied

Elfenlied

Titel: Elfenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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den Intarsien aus Pferdezähnen, das einmal darin gesteckt hatte, war verschwunden. Meine Mutter muss neben der Tasche gelegen haben. Im Schatten des Felsens, der an einen kauernden Bären gemahnte.
    Ich glaube, ich habe sehr lange gewartet, bis ich zum Bach ging. Sie hatte mir stets eingeschärft, mich zu verstecken und keinen Laut von mir zu geben, wenn sie nicht bei mir war. Ihrem Mörder scheine ich egal gewesen zu sein; anders kann ich mir nicht erklären, dass ich verschont blieb.
    Was ich danach tat – ich weiß es nicht. Meine Erinnerung daran ist vollkommen erloschen. Ich muss wohl hinaus ins weite Grasland gelaufen sein.
    In späteren Jahren habe ich manches Mal versucht, den Ort wiederzufinden, an dem meine Mutter starb. Ich wollte von ihr Abschied nehmen. Wollte Gewissheit haben … Hatte sich jemand ihrer erbarmt und sie begraben oder ihren Leichnam verbrannt? Wurde sie zum Fraß der Wildtiere? Den Bach mit den Mohnblüten am Ufer, dem Birkenhain und dem markanten Felsen habe ich nie wiedergefunden. Manchmal fragte ich mich, ob sie wirklich gestorben war. Warum erinnerte ich mich nicht an sie? Vielleicht, weil sie gar nicht dort gewesen war? Aber lässt eine Mutter ihr Kind allein in der Wildnis zurück?
    Dies alles geschah im nördlichen Windland, zu jener Zeit, als die Kentauren noch gut auf mein Volk zu sprechen waren. Es war Boras vom Klan der Frostkinder, der mich verloren im weiten Grasmeer fand. Er stolperte fast über mich, denn das Gras ragte weit über meinen Kopf hinaus. Ich glaube, er war ein wenig betrunken; er roch nach vergorener Stutenmilch.
    Und während ich versuchte, mich so klein wie möglich zu machen, hob er mich auf und betrachtete mich wie einen äußerst ungewöhnlichen Käfer.
    Er war guter Laune, fragte mich nach meiner Mutter aus, und als ich nur zusammenhanglos vor mich hin stammelte, entschied er, mich mitzunehmen.
    »Wenn ich es nicht tue, erledigt das noch einer der Steppenadler«, sagte er und hielt das wohl für einen besonders gelungenen Scherz, denn er brach in schallendes Gelächter aus.
    Er hielt mich im Arm, weil er wohl Angst hatte, ich würde ihm vom Rücken purzeln, wenn ich versuchte, auf ihm zu reiten. Grassamen klebten auf seiner schweißnassen Brust.
    »Wir laufen jetzt mit dem Wind um die Wette, Kleines. Da vergisst man alle Sorgen!«
    Er hatte recht. Während er mit donnernden Hufen den Schatten ziehender Wolken nachjagte, schlief ich in seinen Armen ein.
    Sein Klan war ein kümmerlicher Haufen, nicht einmal dreißig Köpfe zählte er. Eine mickerige Pferdeherde war ihr einziger Schatz. Mit ihr zogen sie über das Land. Ihre Habseligkeiten konnten sie auf einem einzigen Karren mit sich führen. Zwei große Kupferkessel, ein paar alte Waffen und lederne Planen, die sie an stürmischen Tagen zum Schutz gegen den Wind aufspannten, das war all ihr Besitz. Sie lebten von der Hand in den Mund.
    Boras erklärte, dass ich künftig eine von ihnen sei. Und Boras widersprach man nicht. Er war wie ein Fels. Nichts konnte ihn erschüttern. Und er betrachtete mich als seine Glücksbringerin, denn in der Nacht des Tages, an dem er mich fand, zog ein Stern mit einem Feuerschweif über die Steppe nach Norden, zur Snaiwamark hin. Das Knochenorakel der Schamanin verkündete ihm, dass ihm einst eine Tochter geboren würde, die den Namen seines Klans bis ans Ende aller Tage berühmt machen würde.
    Ich weiß nicht, wie man aus einem Haufen abgenagter Kaninchenknochen die Zukunft lesen kann, aber viel später, als Boras schon lange zu seinen Ahnen gegangen war, begegnete ich seiner Tochter Kirta auf einem Totenfest. Und es stimmte, zu jener Zeit waren ihr Name und der ihres Gemahls Nestheus in aller Munde.
    Damals aber, nachdem er mich gefunden hatte, behandelte mich Boras, als sei ich seine Tochter. Er hielt mich in den Armen und wärmte mich in langen Winternächten. Und er nahm mich in einer Satteltasche mit, die mit Lammfell ausgeschlagen war, wann immer er die Herde hütete. Nur ein einziges Mal habe ich ihn in gedrückter Stimmung erlebt.
    Der Winter war entbehrungsreich. Ich lernte den Hunger kennen. Und doch war ich glücklich. Zum ersten Mal hatte ich eine Familie.
    Mein Glück währte nicht einmal bis zum Ende des Winters. Eines Tages kam ein Reiter zu uns, ein Elf. Er hieß Alvias, und ich spürte, dass sogar Boras ihn fürchtete.
    Alvias war berühmt in ganz Albenmark. Er war ein Vertrauter der Elfenkönigin, der Vollstrecker ihres Willens.
    Er redete nicht viel.

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