Elfenlied
muss mit irgendeinem Zauber belegt gewesen sein. Wann immer ich es trug, besuchten mich in allen Regenbogenfarben schillernde Schmetterlinge. Es passte so gut, als sei es für mich maßgeschneidert worden. Dabei war ich kaum mehr als eine Stunde im Palast.
Das Bad, das Kleid, die gut gelaunte Königin, all das schien auf mich gewartet zu haben. Emerelle schaffte es, mir das wunderbare Gefühl zu geben, dass ihr Königshof erst durch mich vollkommen geworden war. Wir aßen zusammen. All ihre Diener behandelten mich mit einem Respekt, als sei auch ich eine Fürstin. Nach dem Mahl brachte sie mich zu Bett. Sie blieb bei mir sitzen und sang mir Lieder vor, bis ich eingeschlafen war. Und als ich erwachte, war sie erneut bei mir, so als sei sie nicht einen Augenblick lang von meiner Seite gewichen.
Es begann eine wunderbare Zeit. Ich durfte sie überallhin begleiten. Zwar spürte ich, dass mich die meisten an ihrem Hofe mit Misstrauen, ja sogar mit Abneigung betrachteten, doch keiner wagte es, ein böses Wort an mich zu richten.
Emerelle nahm mich mit in ihre Kammer, die dicht unter dem Dach des höchsten Turms ihrer Burg lag. Niemand außer mir durfte in jenen Tagen dorthin. Wir probierten vor dem großen Spiegel Kleider an und lachten. Auch weihte sie mich tiefer in die Geheimnisse der Magie ein, als es meine Mutter je getan hatte. Sie lehrte mich, die Tore der Albensterne zu öffnen und ohne Furcht auf den Pfaden der Alben zu wandeln. Und ich brachte ihr bei, wie man fremde Düfte wie Gewänder anlegte. Einmal probierten wir es gemeinsam an Meister Alvias aus.
Heute weiß ich nur zu gut, dass all dies nicht nur harmloses Spiel war, aber ich glaube, sie hat die unbeschwerten Stunden mit mir genossen. Es war zu jener Zeit, als die Trolle noch in die Welt der Menschen verbannt waren und Alathaia nur selten den Rosenturm in Langollion verließ. Am Hof der Elfenkönigin herrschte Frieden, und sie konnte es sich leisten, mitunter einen ganzen Sommertag lang mit mir am See nahe ihrer Burg zu liegen und den treibenden Wolken zuzusehen.
Blütenfeen, kaum so groß wie ein Elfenfinger, umschwirrten uns und neckten uns mit kleinen Gedichten. Damals habe ich nie eine Blütenfee traurig gesehen. Sie erschienen mir wie Geschöpfe des Lichts und des Sommers. Mit schillernden Schmetterlingsflügeln glitten sie durch den strahlenden Himmel.
Sehr selten sprach mich Emerelle auf meine Mutter an. Sie tat es behutsam, ohne zu drängen. Fragte nach ihren Kleidern, wohin wir gereist waren und welches Gepäck wir bei uns gehabt hatten. Einmal sah sie sich sehr genau die Tasche an, das Einzige, was mir von meiner Mutter geblieben war. Sie war abgetragen, nichts Besonderes. Das Innenfutter musste irgendwann einmal eingerissen sein und war notdürftig mit einem schwarzen Faden geflickt. Meine Mutter mochte eine begabte Zauberin gewesen sein, aber ihr Talent als Näherin schien hier versagt zu haben.
Damals dachte ich nicht daran, Emerelle zu fragen, wie es dazu gekommen war, dass meine Mutter und sie Freundinnen waren. Es erschien mir nicht ungewöhnlich, auch wenn ich von den übrigen Höflingen längst geschnitten wurde. Abgesehen von ein paar Blütenfeen und einigen Kobolden aus der Palastküche mieden mich die anderen Bewohner der prächtigen Burg. Sie waren eben Elfen oder arrogante Adelige. Wer den Kopf in den Wolken trägt, der beschäftigt sich nicht mit so niederen Kreaturen wie den Lutin.
Und ich hatte meine Art, es ihnen heimzuzahlen. Angefangen bei Disteln unter Satteldecken bis hin zu allerlei mehr oder weniger harmlosen Zaubern, mit denen ich die besonders Hochnäsigen plagte, ließ ich keine Gelegenheit aus, ihnen Streiche zu spielen. Das machte mich nicht gerade beliebter, aber es verschaffte mir eine tiefe Befriedigung. Und da ich unter dem persönlichen Schutz der Königin stand, wagte es niemand, mich mit mehr als bösen Worten anzugehen. Ich muss gestehen, ich war in dieser Zeit wohl eine ziemliche Plage. Aber ich bin eine Lutin, ein solches Verhalten liegt mir im Blut. Und ich hatte Spaß. Bis zu jenem Tag kurz vor meinem zweiten Frühlingsfest auf Emerelles Burg, an dem ich lernen musste, dass jedes Vergnügen seinen Preis hat.
Der Tag der Abrechnung
Ich weiß noch, ich trug mein mohnrotes Kleid an jenem Tag. Es war stürmisch, und der wilde Frühlingswind zupfte an meinen Rockschößen. Emerelle hatte keine Zeit für mich, da fast stündlich irgendwelche mehr oder weniger bedeutenden Gäste auf der Burg eintrafen.
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