Elfenstern
ihre sterblichen Kinder erschuf.
Die Sterne sind
ihre unsterblichen Kinder, die über uns wachen.« Sie
schaute ihren Bruder
erschreckt an. »Du willst doch nicht behaupten, daß
Vater das wirklich glaubt?
Aber das … das wäre Lästerung!«
»Meiner Meinung nach liebäugelt er bis
jetzt nur
damit, aber für ihn muß es sich durchaus plausibel
anhören, wenn du es genau
betrachtest, Callie. Schon vor Mutters Tod experimentierte er mit
Raketen – zum
Warentransport. Dann stirbt sie, und unsere Priester erzählen
ihm, sie sei in
den Himmel gegangen, um eins der unsterblichen Kinder zu werden. Sein
Gehirn
macht einen Schlenker, und er hat den Einfall, mit Raketen auf die
Suche nach
Mutter zu gehen. Noch ein Schlenker, und er bildet sich ein,
daß sie vielleicht
nicht unsterblich ist, sondern dort oben gesund und munter in einer Art
Stadt
lebt.«
»Heiliger Orn!« Calandra stöhnte
wieder. Sie
schwieg, starrte auf den Abakus und schob eine der Perlen hin und her,
hin und
her. »Ich werde gehen und mit ihm reden«, sagte sie
endlich.
Paithan bemühte sich um einen gleichmütigen
Gesichtsausdruck. »Ja, das ist vielleicht eine gute Idee,
Callie. Rede mit
ihm.«
Calandras gestärkte Röcke knisterten, als
sie
sich erhob. Sie schaute auf ihren Bruder hinab. »Wir wollten
eigentlich über
diese nächste Schiffsladung sprechen …«
»Das hat Zeit bis morgen. Die Sache mit Vater
ist doch erheblich wichtiger.«
»Hm. Du brauchst nicht so bemüht
teilnahmsvoll
dreinzuschauen. Ich weiß, was du vorhast, Paithan. Du wirst
dich gleich
verdrücken, zu irgendeinem albernen Ausflug mit deinen
vornehmen Freunden,
statt zu Hause zu bleiben und dich um das Geschäft zu
kümmern, wie es deine
Pflicht wäre. Aber du hast recht, obwohl du es vermutlich
nicht einmal
begreifst: Diese Sache ist tatsächlich wichtiger.«
Von unten tönte eine
gedämpfte Explosion herauf, das Klirren fallender Teller und
ein Schrei aus der
Küche. Calandra strich sich mit einer Geste der
Erschöpfung über die Stirn.
»Ich werde mit ihm reden, auch wenn ich bezweifle,
daß es etwas nützt. Wenn ich
ihn nur dazu bringen könnte, den Mund zu halten!«
Sie schlug das Buch zu und marschierte
mit zusammengepreßten Lippen kerzengerade zur Tür am
Ende des Speisezimmers.
Ihre Hüften wirkten so steif wie ihr Rücken; bei
Calandra Quindiniar gab es
kein verführerisches Schwingen der Röcke.
Paithan schüttelte den Kopf. »Der arme alte
Herr«,
meinte er mit einem Anflug von aufrichtigem Mitleid. Dann schnippte er
den
Palmfächer in die Luft und ging sich umkleiden.
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Kapitel 2
Equilan,
Wipfelebene
Calandra stieg die Treppe hinunter und betrat die
Küche im ersten Stock des Hauses. In den tiefer- gelegenen
Etagen war es
merklich heißer als in dem luftigen Obergeschoß.
Die Küchenhilfe – mit
geröteten Augen und das Gesicht von der breiten Hand der
Köchin gezeichnet –
kehrte mürrisch das zerbrochene Geschirr zusammen. Sie war ein
Mensch und
häßlich, wie Calandra gesagt hatte, auch trugen die
roten Augen und die
geschwollene Lippe nicht dazu bei, ihr Aussehen zu verbessern.
Doch für Calandra waren alle Menschen
häßlich
und unkultiviert, wenig mehr als Barbaren und Wilde. Das
Mädchen war eine
Sklavin und zusammen mit einem Sack Mehl und einem Kochtopf aus
Steinholz
gekauft worden. Sie würde mindestens fünfzehn Stunden
des 21-Stunden-Tags auf
den Beinen sein und unter der gestrengen Aufsicht der Köchin
die niedrigsten
Arbeiten verrichten. Sie würde sich mit der Scheuermagd ein
winziges Zimmer
teilen, keinen eigenen Besitz haben dürfen und einen Lohn
erhalten, der es ihr
im hohen Alter vielleicht ermöglichte, sich freizukaufen. Und
doch war Calandra
überzeugt, der Menschenfrau einen ungeheuren Gefallen erwiesen
zu haben, indem
sie es ihr ermöglichte, in einer zivilisierten Umgebung zu
leben.
Der Anblick des Mädchens in der Küche fachte
Calandras schwelende Gereiztheit erneut an. Ein Menschenpriester! Was
für eine
hirnverbrannte Idee! Ihr Vater sollte mehr Verstand haben.
Geistesgestört zu
sein war eine Sache; jeden Sinn für Anstand und Sitte zu
verlieren eine andere.
Calandra durchquerte die Küche, riß die
Kellertür auf und stieg die Stufen in
die kühle Dunkelheit hinab.
Das Haus der Quindiniars stand auf einer
Moossteppe der oberen Vegetationsebenen der Welt Pryan. Der Name
bedeutete
›Reich des Feuers‹ in einer
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