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Elfenwinter

Elfenwinter

Titel: Elfenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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letzten drei Treppenstufen auf einmal und wäre fast in einen Haufen frischer Pferdeäpfel getreten, der halb verborgen zwischen den Wurzeln lag. Das war einer von vielen Gründen, warum er diese Barbaren nicht für hoffähig hielt!
    Allerdings waren sie bedingungslos loyal. Unter ihnen würde sich niemals ein Attentäter befinden. Wenn sie eine Fehde ausfochten, dann gab es keine Heimlichkeiten. Ein Kampf, von dem man nicht bei einem Trinkgelage erzählen konnte, war es in ihren Augen erst gar nicht wert, geführt zu werden.
    Als Ollowain den Pavillon erreichte, kniete er vor seiner Königin nieder. »Ich bitte um Verzeihung dafür, dass ich dich warten ließ, meine Herrin.«
    Emerelle lächelte. »Ich kenne dich, Ollowain, und ich ahne, dass deine Pflicht dich aufgehalten hat. Nun erhebe dich. Dies ist kein Hoftag. Es besteht kein Grund, noch länger vor mir zu knien.«
    Erwartete sie, dass er berichtete, was ihn aufgehalten hatte? Oder wusste sie es? Emerelle vermochte den Schleier der Zukunft zu zerteilen. Immer wieder überraschte sie den Hof mit ihrem Wissen. War sie deshalb so ruhig? Wusste sie, dass ihr heute Nacht nichts geschehen würde? Hatte sie sich insgeheim vorbereitet, ohne selbst ihn einzuweihen?
    »Lass uns einen Augenblick hier stehen, Ollowain, und die Schönheit dieses Abends genießen.« Sie stützte sich auf das Geländer des Pavillons und blickte hinauf in den Wipfel von Ma-tha Murganleuk. Wie ein riesiger Baldachin spannte sich die Baumkrone über den weiten Hof. Die Blätter flüsterten im Wind. Einzelne Blüten segelten in weiten Spiralen zu Boden.
    Die Jahrhunderte waren an Emerelle vorübergegangen, scheinbar ohne Spuren zu hinterlassen. Sie gehörte zu den Wenigen, die die Alben noch gesehen hatte. Und dennoch wirkte die Herrscherin fast kindlich. Emerelle war von zarter Gestalt;
    Ollowain überragte sie um mehr als Haupteslänge. Dunkelblondes Haar fiel in Wellen auf ihre nackten, milchweißen Schultern. In dieser Nacht trug sie das Kleid der Augen. Es war von leuchtendem Rot, durchsetzt mit einem Muster aus gelben Kreisen und schwarzen Punkten. Man musste der Königin sehr nahe kommen, um zu bemerken, welche Bewandtnis es mit dem Kleid auf sich hatte. Es lebte! Tausende Schmetterlinge hatten sich auf einem schlichten, grünen Untergewand niedergelassen. Mit ausgestreckten Flügeln bedeckten sie die Königin, als wollten sie Emerelle vor allzu neugierigen Blicken bewahren. Wenn sie sich bewegten, schienen Wellen über das Kleid zu gleiten. Und auf allen Flügeln prangte ein großes gelbschwarzes Auge.
    Unvermittelt wandte sich Emerelle zu ihm um. Leise raschelten die Schmetterlingsflügel. Die Königin hielt Ollowain das goldene Horn entgegen. »Trink, mein Beschützer. Du musst durstig sein.«
    Schwitzte er wieder? Die Königin würde ihn nie direkt auf seinen Makel ansprechen. Aber lag in ihren Worten nicht eine versteckte Spitze? Er nahm das Trinkhorn. Emerelle wirkte entrückt. Sie lächelte melancholisch, und ihre hellbraunen Augen blickten durch ihn hindurch. Ollowain entspannte sich. Offensichtlich war die Königin in Gedanken weit entfernt. Der Schwertmeister nahm einen tiefen Schluck. Es war herrlich gekühlter Apfelwein. Frisch und süß, aus den Äpfeln dieses Spätsommers. »Leere das Horn bis zur Neige«, sagte Emerelle leise. »Dies wird eine lange Nacht werden.« Die Königin sah wieder hinauf in die Krone des alten Magnolienbaums.
    Sie nimmt Abschied, dachte Ollowain beklommen. So, als würde sie Matha Murganleuk niemals wieder sehen. Sein Blick wanderte über die von Schlingpflanzen überwucherten Wände. Weiße Erker schoben sich wie Felsvorsprünge durch den dunklen Pflanzenteppich. Nur in wenigen Fenstern brannte Licht. Emerelle war diesmal nur mit einem kleinen Gefolge nach Vahan Calyd gereist. Meister Alvias war zurückgeblieben, ebenso Obilee und viele andere. Der größte Teil des Palastes von Vahan Calyd stand leer. So wie fast immer, denn bis zum nächsten Fest pflegten nur wenige Diener hier auszuharren, um nach dem Rechten zu sehen. Zu wenige, um im Kampf gegen die wuchernde Wildnis des Waldmeers zu bestehen. In gewisser Weise war der Zustand des Palastes ein Spiegel von Emerel-les Herrschaft. Sie ließ den Völkern der Albenkinder fast alle Freiheiten. Selten mischte sie sich in die Angelegenheiten der Elfensippen, in die Blutfehden der Kentauren oder die anrüchigen Geschäfte der Faune. Sie ließ sie gewähren, solange sie eine gewisse Grenze nicht

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