Elfenwinter
sein Blick über die Menge und dann wieder zu den Terrassen der anderen Paläste, an denen sie vorbeikamen. In dem Nachen schwebten sie hoch über den Köpfen all der Schaulustigen ringsherum. Es war ein Albtraum! Die Königin bot ein kaum zu verfehlendes Ziel für den Mörder, der irgendwo hier draußen lauerte.
Ollowain versuchte ein weiteres Mal, sich in den Meuchler hineinzuversetzen. Wie würde er es anstellen, wenn er Emerelle töten wollte? Von diesem Auftritt in der Sänfte hatte der Mörder unmöglich wissen können. Ollowain selbst hatte erst am Nachmittag davon erfahren. Nur den Holden, die das Boot vorbereitet hatten, war die Absicht der Königin schon länger bekannt. War es denkbar, dass jemand von ihnen das Geheimnis verraten hatte?
Ollowain ballte in hilfloser Wut die Fäuste. Es war aussichtslos. Der Attentäter würde ihm immer einen Schritt voraus sein. Er konnte nur reagieren, während der Mörder tausend Möglichkeiten hatte.
Ein Schwarm kleiner Auenfeen stieß aus dem Nachthimmel hinab. Kaum größer als Libellen, umschwirrten sie die Königin und bestäubten ihr Haar mit parfümiertem Blütenstaub. Hunderte Schmetterlinge lösten sich aus dem Kleid der tausend Augen und stiegen auf, um mit den Auenfeen in schillerndem Farbenreigen zu tanzen. Emerelle lachte und winkte der Menge zu.
Blütenblätter wurden von den Terrassen der Paläste geworfen. Die Luft war erfüllt von Wohlgerüchen. Überall wehten Seidenbanner, und auf den hohen Palasttürmen hatten die Elfenmagier mit ihren Zaubern begonnen. Kristalle brachen Licht in schillernde Regenbogen. Goldene Fontänen schossen in den Himmel und öffneten sich zu vielfarbigen Blüten. Selbst die einfachen Häuser, die über keine Zauberer geboten, erstrahlten in goldenem Licht. Dort hatte man hunderte von Öllämpchen aufgestellt, um an der Nacht der Lichter teilzuhaben.
Der warme Klang von Schilfrohrflöten drang an Ollowains Ohr. Kurz erhaschte er einen Blick in eine enge Gasse, in der Minotauren tanzten. Sie hatten goldene Räucherfässer an ihre Hörner gebunden und wanden sich in ekstatischem Reigen zum Klang der Flöten. Dabei zogen sie weißblaue Rauchschlangen hinter sich her.
Aus dem Augenwinkel sah Ollowain etwas Längliches auf die Königin zurasen. Er stieß Emerelle zur Seite. Scheppernd schlug das Geschoss gegen die Brustplatte, die unter seinem Wams verborgen war. Erschrockene Rufe erklangen.
Die Königin war sofort wieder auf den Beinen und winkte der Menge zu. »Du bist zu nervös, Ollowain«, flüsterte sie und deutete auf den geschälten Ast, der vor ihm auf dem Boden des Nachens lag. In das helle Holz waren schwarze Runen eingebrannt. Ein Frauenname?
Hinter ihnen kletterten zwei Holde den glatten Mast hinauf und spähten der Königin neugierig über die Schultern. Einer hatte sein Haar zu fett glänzenden Zöpfen geflochten. Er grinste den Schwertmeister frech an und begann plötzlich zu singen: »Der Ollowain, das Ritterlein, der hat wohl Angst, bepisst sein Bein.«
Emerelle brachte den Spötter mit einer harschen Geste zum Schweigen. Dann ließ sie den Blick suchend über die Menge schweifen. Schließlich deutete sie auf eine Kentaurin mit kurz geschorenem schwarzen Haar. Das Pferdeweib stieg auf die Hinterbeine und versuchte wild rufend die Aufmerksamkeit der Königin zu erhaschen. Emerelle bückte sich nach dem Stab, führte ihn an die Lippen und hauchte einen Kuss auf das helle Holz. Dann warf sie ihn in weitem Bogen der Kentaurin entgegen. »Ein Amulett«, erklärte sie. »Die Kentauren glauben, wenn ihre Frauen einen Stab aus Weidenholz bei sich tragen, den ich berührt habe, dann werden sie in der nächsten Liebesnacht einen Sohn empfangen.«
Ollowain hörte die Worte der Königin kaum. Ein dumpfes Geräusch, fast verdeckt vom Lärm des Festes, ließ ihn herumfahren. Der Holde, der ihn eben noch verspottet hatte, war von einem Pfeil an den Mast genagelt worden. Das Geschoss zitterte noch von der Wucht, mit der es sich in das Holz gebohrt hatte. Dunkles Blut troff von der Brust des Toten und sammelte sich am Gürtel, der den Lendenschurz hielt. Der Pfeil, der den Spötter getötet hatte, war schwarz, seine Befiederung dunkelgrau und weiß gestreift.
Ollowain zog Emerelle dicht an sich. So wie der Pfeil im Mast steckte, musste er aus erhöhter Position von einem der Schiffe aus abgeschossen worden sein. Dass die Königin sich nach dem Weidenholz gebückt hatte, hatte ihr vermutlich das Leben gerettet.
»Die
Weitere Kostenlose Bücher