0097 - Das Höllentor
Brutal wurde sie zu Boden gezerrt und an Händen und Füßen gefesselt.
»Was wollt ihr von mir?« fragte sie mit zitternder Stimme.
Sie fürchtete, daß man sie zum Tempeltanz zwingen würde, wie es in den letzten Monaten oft zu hören gewesen war. Immer wieder wurden Mädchen entführt und gezwungen, in leichten, durchsichtigen Gewändern halb sakrale, halb obszöne Tänze auszuführen.
»Du wirst für uns arbeiten«, brummte einer der Männer.
»Im Tempel?« fragte Faziah bebend.
»Nicht im Tempel«, war die Antwort. »Frag jetzt nicht. Los, auf mein Pferd mit dem Mädchen. Ich nehme ihr Kamel.«
***
Der Anführer der Araber hörte auf den Namen Jussu Ben Jussuf. Er war etwa vierzig Jahre alt, hochgewachsen und von allen wegen seiner Kraft gefürchtet.
Seit Monaten gab es diese Entführungen. Ein alter Familienzwist zwischen Arabern und Berbern, der immer wieder zu neuen Kämpfen führte. Es war zu zahlreichen Entführungen gekommen. Junge Männer, Frauen und Mädchen verschwanden.
Die Berber gaben ihre jungen Geiseln gegen Lösegeld wieder heraus. Aber die geraubten Berber selbst wurden nie wieder gesehen.
Niemand wußte etwas über ihr Schicksal. Lebten sie noch, oder hatte man sie umgebracht?
Die Berber unter ihrem Anführer Yamun hatten sich in einer winzigen Oase angesiedelt, hundert Kilometer von der Stadt Fes in Marokko entfernt. Das Verwunderliche war, daß die Wasservorräte in den letzten Wochen immer mehr abnahmen. Ein großes Staubecken war derart abgesichert worden, daß Wasser weder verdunsten noch sonstwie sich in Nichts auflössn konnte.
Und dennoch wurde der Vorrat von Tag zu Tag kleiner.
Yamun und seine Sippe standen vor einem Rätsel.
Und sie konnten nicht ahnen, daß schon vom nächsten Tage an ihre Tochter Faziah dabei helfen würde, ihnen das Wasser buchstäblich abzugraben…
***
Sand, Steine und die lastende Dunkelheit der kühlen Nacht. Sechs Männer und ein gefangenes Mädchen. Vor ihnen die Kette des Atlas, auf die sie zuritten.
Schweigend die Männer, Faziah unter dem Druck ihrer Fesseln leise wimmernd. Man hatte ihre Hände mit den Zügeln des Pferdes verbunden. Ein Strick verhinderte, daß das Mädchen aus dem Sattel kippen könnte.
Nach einer Viertelstunde war das Ziel der Araber erreicht.
Sie standen vor dem Eingang ihres Prachttempels, auch Höllentor genannt. Dem Tempel der Gelben Furien. Er hatte den Namen von den gelblichbraunen Hunden, die den mächtigen Eingang bewachten.
Faziah ahnte nicht, daß sie auch hinter dem Tempel auf weitere dieser Furien stoßen würde. Aber diese anderen hatten Menschengestalt. Nur ihre Masken waren den Hundeköpfen nachgebildet.
Einer der Männer löste den Strick von Faziahs Händen und von den Zügeln.
»Nimm ihr die Fesseln ab«, sagte Jussu Ben Jussuf ruhig. Er gab seine Befehle immer knapp und gelassen. Aber die Männer gehorchten ihrem gefürchteten Anführer.
»Und nun verbinde ihr die Augen«, kam der nächste Befehl.
Der Mann tat, was sein Anführer verlangte. Faziah spürte, wie eine Binde über ihre Augen gelegt und um ihren Kopf geschlungen wurde.
Dann stieß sie jemand kurz an.
»Geh voran, immer geradeaus«, kam Ben Jussufs Stimme. »Ganz langsam. So, jetzt kommen zwölf Stufen. Taste sie erst mit den Füßen ab, eine nach der anderen.«
Faziah fühlte sich wie eine Traumwandlerin die Stufen hinangehen. Die Hunde, Wächter des seltsamen Heiligtums, konnte sie nicht sehen. Ihre Furcht wäre nur noch größer geworden.
»Bleib stehen«, sagte der Anführer.
Dann hörte sie, wie eine schwere Tür geöffnet wurde.
»Weiter jetzt!« sagte Ben Jussuf.
Mechanisch ging sie voran. Dann fühlte sie sich beim Arm gepackt, einmal leicht nadi links, einmal ein Stück nach rechts geführt.
Der Druck der fremden Hand wurde stärker. Das Mädchen fühlte, daß sie stehenbleiben sollte.
Dann hörte sie nichts wie einen schweren, langgezogenen Lufthauch. Ihr war, als öffnete sich die riesige hintere Wand des Tempels. Und so war es auch.
Eine fremde Hand legte sich auf ihren Rücken, schob das Mädchen voran.
Wieder ging Faziah, langsam, mechanisch, wie von einer Zugfeder angetrieben.
»Warte!« rief ihr Ben Jussuf nach einiger Zeit zu.
Diesmal wurde eine eiserne Tür geöffnet. Faziah erkannte es an dem Knarren und Quietschen der Scharniere.
»Soll ich die Augenbinde abnehmen?« fragte Faziahs Begleiter, zu seinem Anführer gewandt.
»Warte noch«, rief Ben Jussuf zurück. »Wir wollen erst die geheime Treppe
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