Ella und das große Rennen
»Aufhören! Die Schule steht unter Naturschutz!«
Dann hob sie die Streichholzschachtel mit Martti in die Höhe. Der Kran mit der Abrissbirne stoppte, und es wurde still.
Es war ein Riesenglück, dass Anna sich so gut mit Tieren auskannte, sonst hätte nie jemand erfahren, dass Martti einer der seltensten Käfer der Welt war. Er war nämlich ein Schulhauskäfer,
Moralius loserius
, den es nur an unserer alten Schule gab, und auch dort nur in der Speisekammer.
Über die Schule wurde auf der Stelle ein Abrissverbot verhängt, das nicht einmal Herrn Yksis Anwälte zu Fall bringen konnten. Mit dem Naturschutz ist es bekanntlich noch komplizierter als mit Formel-1-Rennen.
So kehrten wir am Ende doch in unsere alte Schule zurück. Und die vielen Tausend Schüler der neuen Schule wollten wirklich mitkommen, weil sie es satthatten, sich auf den Fluren ihrer Monsterschule zu verlaufen. Das ging nur leider nicht, weil es natürlich viel zu eng geworden wäre, ungefähr tausend Schüler pro Klassenzimmer, rechnete uns Timo vor.
Die Enttäuschung war groß, aber dann waren alle überrascht, als ausgerechnet Annas und Kimis Vater seine Hilfe anbot. Er versprach, ein paar neue, kleinere Schulen zu bauen, wenn er im Gegenzug die Monsterschule haben konnte. Er hatte sich inzwischen überlegt, dass Hundegespannrennen eigentlich noch viel spannender waren als Formel-1-Rennen. In jedem Fall versprachen sie mehr Überraschungen. Und darum wollte er aus der Monsterschule einen Riesenstall für Hundegespanne machen.
»Ich gründe das weltgrößte Halbkojotenschlittenzentrum, das einmal im Jahr ein Halbkojoten-Formel-1-Rennen organisiert. Das wird ein Mega-Event«, schmunzelte Herr Yksi.
Anna war ganz begeistert, weil ihr Vater ihr versprochen hatte, dass sie sich um die Hunde kümmern durfte. Außerdem hatte sie endlich ihre Klasse gefunden. Sie und ihr Lehrer waren sich nach dem Rennen über den Weg gelaufen, und er hatte sie vorsichtshalber gleich ihren Klassenkameraden vorgestellt. In einer kleineren Schule würden dann ja auch die Klassenzimmer leichter zu finden sein.
Nicht mal Kimi beklagte sich, obwohl seine Formel-1-Karriere zu Ende war, bevor sie richtig angefangen hatte. Er sagte auch sonst nicht viel, aber aus der Schnelligkeit, mit der seine Finger über Knöpfe des Computerspiel-Lenkrads flogen, schloss ich, dass er auch so mit seinem Leben zufrieden war.
Nur verliebt war ich nicht mehr in ihn. In einer Zeitschrift hatte ich gelesen, dass eine enttäuschte Liebe angeblich noch tausendmal größer ist als eine richtige, also war ich lieber enttäuscht. Und vielleicht finde ich ja irgendwann jemanden, der außer Auto fahren und Computerspiele spielen auch noch reden kann. Reden können finde ich nämlich auch ganz nützlich.
Aber die größte Überraschung war, wie schnell sich Martti erholte, als Pekka ihn in die Speisekammer zurückbrachte, die kurz darauf zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Er wackelte vorsichtig erst mit einem Fühler und dann mit beiden, dann erhob er sich langsam auf die Beine und krabbelte zielstrebig in die Ecke hinter den Marmeladeneimern. Er wollte gerade in einem Loch ganz unten in der Wand verschwinden, als dort ein zweiter Käfer herauskam. Er sah genauso aus wie Martti, nur der Panzer war ein bisschen heller. Sie legten Fühler an Fühler, dann verschwanden sie zusammen in dem Loch.
»Martti und Martta«, hauchte ich.
Die große Liebe gab es doch.
Der Einzige, der keinen zufriedenen Eindruck machte, war der Lehrer. Als wir zum ersten Mal wieder in unserem schönen alten Klassenzimmer saßen, holte er einen Brief und meinen Aufsatz über den Zoo aus der Tasche. Damit, dass er den Aufsatz aus Versehen ans Schulamt geschickt hatte, hatte ja alles angefangen. Jetzt hatte ihn das Schulamt endlich zurückgeschickt.
»Einen Anlass für eine Gehaltserhöhung können wir nicht erkennen, und vermeiden Sie künftig bitte Wörter wie ›kacken‹«, las er uns vor. Dann schüttelte er den Kopf. »Sie verstehen es einfach nicht. Das hier ist doch eine perfekte Schilderung meiner Arbeit. Viel besser als das, was ich selbst geschrieben habe«, sagte er. Dann knallte er zehn Papageienstempel unter meinen Aufsatz und gab ihn mir zurück.
Ich musste ein bisschen lachen.
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
Ella ja Äf Yksi
bei Tammi in Helsinki.
Das Hörbuch
Ella und das große Rennen,
gelesen von Friedhelm Ptok, erscheint bei Igel Records.
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